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Umkämpfte Juncker-Nachfolge Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen selbst bestimmen

Vor allem in Deutschland gilt das sogenannte Spitzenkandidatenmodell als Modell für eine demokratischere EU: An der Spitze der Europäischen Kommission soll jemand stehen, der zuvor als Spitzenkandidat und Wahlkämpfer eine Partei erfolgreich ins EU-Parlament geführt hat. Die EU soll also funktionieren wie eine parlamentarische Demokratie, in der üblicherweise der Spitzenkandidat der wählerstärksten Partei zum Regierungschef aufsteigt.

Bloss: Die EU ist keine parlamentarische Demokratie, sondern ein Verbund demokratischer Staaten. Die wahren Machthaber sind die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedsstaaten. Gemäss den Verfassungsverträgen der EU unterbreiten sie dem Parlament einen Vorschlag fürs Kommissionspräsidium, das Parlament sagt dazu dann lediglich noch ja oder nein. Viele der Chefs mögen das Spitzenkandidatenmodell nicht, sie wollen selbst bestimmen.

Sorgenkandidat Weber

Und sie haben dem Modell mit der Nomination von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin eine Abfuhr erteilt. Von der Leyen ist deutsche Ministerin, den Europawahlkampf ihrer Partei, der christdemokratischen EVP, hat ein anderer geführt: der Deutsche Manfred Weber.

Manfred Weber selbst ist der Grund, warum es den EU-Chefs so leichtfiel, das Spitzenkandidatenmodell beiseite zu schieben. Er galt, ganz einfach, als spitzenmässig schwacher Kandidat. Ein Mann ohne Charisma und ohne Regierungserfahrung, dem selbst Parteifreunde – hinter vorgehaltener Hand – das Amt nicht zutrauten.

Parlament will keine führungslose EU

Potentielle Totengräber des «Spitzenkandidatenmodells» sind also nicht nur die Staats- und Regierungschefs, sondern vor allem auch jene 492 EVP-Delegierte, die den praktisch chancenlosen Weber vergangenen November zum Spitzenkandidaten ihrer Partei nominiert hatten.

Es ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass das EU-Parlament tatsächlich den Aufstand probt und Ursula von der Leyen die Zustimmung verweigert. Eher aber dürfte es von der Leyen am Ende zähneknirschend durchwinken. Weil weder Weber noch die anderen Spitzenkandidaten mehrheitsfähig sind. Und weil das Parlament keine führungslose EU will.

Wer die EU in eine parlamentarische Demokratie umwandeln will, muss die Verfassungsverträge ändern und sich nicht bloss ein wohlklingendes Modell ausdenken. Dann würden Parteidelegierte ernstzunehmende Spitzenkandidaten auswählen und echten Machtanspruch signalisieren.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

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