«Ökumene ist eine Lüge. Das ist ein Komplott der USA!» Aufgebrachte Demonstrantinnen und Demonstranten skandieren diese Slogans in der türkischen Kleinstadt Iznik, dem antiken Nicäa. Sie protestieren gegen den bevorstehenden Besuch des Papstes.
Papst Leo und der orthodoxe Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., wollen am Freitag gemeinsam in Nicäa beten. An diesem geschichtsträchtigen Ort tagte im Jahr 325 das erste ökumenische Konzil.
Mit dem Gebet wollen Papst und Patriarch die Einheit der Christen beschwören. Genau das kritisieren die Demonstranten, wie die Kundgebungsrednerin von der linksnationalistischen Vaterlandspartei lautstark kundtut.
Ein neuer Vatikan in Iznik?
«Der Papst will mit seinem Besuch in Iznik die Christen einen. Und dann werden sie Istanbul als neues Rom beanspruchen», ruft sie. Die Christen würden behaupten, ihre Religion stamme aus Iznik. Doch: «Hier ist nicht mehr Byzanz, hier ist die Türkei, hier ist nicht Nicäa, hier ist Iznik!»
Der Papstbesuch in Iznik fällt genau auf den 105. Jahrestag der Befreiung der Stadt von der griechischen Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg. Das dürfte dem Vatikan womöglich nicht bekannt gewesen sein. Doch in der Türkei fördert es Verschwörungstheorien.
Warum wir argwöhnisch sind? Weil in Iznik ein neuer Vatikan gegründet werden soll.
Solche sind dort ohnehin populär – und zwar nicht nur auf der Strasse, sondern auch im Parlament. Die islamisch-konservative Glückspartei erhob denn auch Einwände gegen den Papstbesuch. Der Vorsitzende Mahmut Arikan befürchtet, dass in Iznik ein neuer Vatikan gegründet werden soll.
«Die Welt schielt auf unsere Region. Auf der einen Seite droht uns Israel. Auf der anderen schmieden die USA ihre Pläne. Nun treten neue Akteure auf den Plan, um hier in der Region mitzumischen. Vor diesem Hintergrund sehen wir den Besuch des Papstes in Iznik mit Argwohn. Warum wir argwöhnisch sind? Weil in Iznik ein neuer Vatikan gegründet werden soll», sagte er im Parlament.
Und dabei ist die Glückspartei Saadet keine verrückte Randgruppe. Sie bildet im türkischen Parlament eine Fraktion mit etablierten Parteien.
Demütigung der Kapitulation von 1918 sitzt tief
«Aufwand und Dimension dieses Besuchs in Iznik legen nahe, dass hier ein Sonderstatus-Gebiet geschaffen werden soll, ein Gebiet mit besonderem Rechtsstatus unter internationaler religiöser Autorität. Das ist eine existenzielle Frage, die die Souveränität der Türkei unmittelbar berührt», so der Glückspartei-Vertreter Arikan weiter.
Wenn Sie am Freitag nach Iznik kommen, werden Sie es dort mit uns zu tun bekommen!
Der Parteichef beschwor damit das Gespenst der osmanischen Kapitulation herauf und eine mögliche Einflussnahme europäischer Staaten auf türkischem Staatsgebiet. Die Demütigungen der Kapitulation und der westlichen Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg sitzen in der türkischen Gesellschaft bis heute tief.
Papst und Patriarch sollten sich in Iznik nicht blicken lassen, drohen die Demonstrantinnen und Demonstranten darum. «Wer mit dem Schwert kommt, dem begegnen wir mit dem Schwert!», ruft die linksnationale Kundgebungsrednerin. Man werde den Besuch nicht zulassen: «Wenn Sie am Freitag trotzdem nach Iznik kommen, werden Sie es dort mit uns zu tun bekommen!»