Er war selbst Teil der Elite um Premier Viktor Orbán, bis er mit ihr brach und begann, Korruption und Misswirtschaft anzuprangern. Das war im Februar letzten Jahres, und seither geht es mit dem 44-jährigen Oppositionspolitiker Péter Magyar politisch steil aufwärts.
Seine Partei Tisza hat in Umfragen inzwischen die Regierungspartei Fidesz überholt – und das in einem nie dagewesenen Tempo, wie der ungarische Politologe Gábor Györi sagt: «Noch nie hat eine Partei in den Meinungsumfragen derart schnell abgehoben wie die von Péter Magyar.»
Zwar ist rund die Hälfte der Ungarinnen und Ungarn schon länger nicht zufrieden mit der Regierung, aber die Opposition war schwach und zersplittert. Péter Magyar scheint es zu schaffen, neben den Orbàn-Gegnern auch Unentschlossene und manche Fidesz-Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Die Enttäuschung sei bei vielen so gross, sagt Györi, dass sie bereit seien, diejenige Kraft zu unterstützen, die eine Chance gegen Orbán habe.
Der Mythos Orbán ist verblasst
Magyar sei geschickt im Umgang mit Medien, habe Charisma und fokussiere auf Themen, die den Menschen Sorgen bereiteten, meint der Politologe: «Wenn Magyar in Krankhäuser geht und sagt, schaut mal, wie schrecklich der Zustand ist, wie schlimm die Probleme mit Hygiene und Versorgung sind – dann hören mehr Leute zu und berichten mehr Medien darüber, als es bisher der Fall war.»
Dazu kommt: Im Moment fehlt das grosse Feindbild, mit dem Premier Orbán die Leute hinter sich scharen kann: Die Migranten, der Krieg in der Ukraine – diese Drohkulissen haben sich abgenutzt. Ausserdem scheint die Negativkampagne der Medien, die von Orbán kontrolliert werden, ihm nicht ernsthaft zu schaden. Sie führt vielmehr dazu, dass der Oppositionspolitiker landesweit bekannt wird.
Deshalb sagt Györi: Der Mythos Orbán sei verblasst. Der Mythos, der darin bestand, dass Orbán keinen ebenbürtigen Herausforderer in Ungarn habe und dass die Oppositionspolitiker unbedeutende Figuren im Vergleich zu Orbán seien, der der wirkliche und natürliche Anführer Ungarns sei. «Jetzt kann man selbst aus den Fidesz-Medien sehen, dass Orbán einen Herausforderer hat, der ähnlich einflussreich und ein wirklich ernstzunehmender Gegenspieler ist.»
Nur schlechte Politiker in Ungarn?
Die 59-jährige Zsuzsa, die wir auf einem zentralen Platz in Budapest ansprechen, ist wohl genau die Wählerin, von der der Politologe Györi spricht. Sie sei schon lange unzufrieden mit der Regierung, sagt sie. Zsuzsa spürt, wie alle, die schlechte Wirtschaftslage, die hohen Preise.
Für sie ist klar, was der Grund dafür ist: «Sie stehlen, sie sind korrupt.» Zsusza weiss, wovon sie spricht, denn sie arbeitet in der Verwaltung. Sie wird für Péter Magyar stimmen, befürchtet aber, dass er in einer künftigen Regierung zu wenig Unterstützung haben wird, um das Land ganz vom System Orbán zu befreien.
Ein paar Schritte weiter raucht der 48-jährige Pal eine Zigarette und sagt, er sei deprimiert: Er glaube nicht, dass Magyar eine Alternative sei. In Ungarn gebe es nur schlechte Politiker. Das Problem, so Pal, sei die Mentalität: Alle wollten sehr schnell reich werden und dächten nur kurzfristig.
Der 61-jährige Gabor schliesslich sagt: Péter Magyar sei ihm unsympathisch, Orbán hingegen mache es gar nicht schlecht. Er schütze die Interessen Ungarns. Und die Geschichten mit der Korruption: Das würde eine andere Regierung wohl ebenso handhaben.
Péter Magyar als letzte Hoffnung
Ganz anderer Meinung ist Géza Jeszenszky. Der 83-jährige Historiker war Diplomat und Anfang der neunziger Jahre Aussenminister Ungarns. Doch ganz zur Ruhe setzen kann er sich nicht, zu sehr treibt ihn um, wie Orbán immer autoritärer regiert, um sich die Macht zu sichern und noch mehr Reichtum anhäufen zu können.
Jeszenszky sagt: Er sei von Magyar beeindruckt, auch wenn er gewisse Vorbehalte gegenüber seiner Person habe. «Viele Orbán-Gegner, unter ihnen sogar frühere Oppositionsführer, wollen für Magyar stimmen, um Ungarn von Orbán zu befreien.» Es gebe keine Alternative zu Péter Magyar. «Es ist die letzte Hoffnung, Orbán friedlich zu ersetzen.»
In rund einem Jahr sind Wahlen. Ihr Ausgang, so lässt sich heute sagen, ist zumindest ungewiss.