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UNO-Flugwarnung an den Kreml Hat Russland bald nur noch marode Flugzeuge in der Luft?

Ernsthafte Bedenken an russischer Flugsicherheit: Die UNO-Behörde Icao warnt eindringlich.

Gegenüber Grossmächten haben UNO-Organisationen notorisch Beisshemmungen. Umso bemerkenswerter ist daher, dass die UNO-Zivilluftfahrtbehörde Icao unmittelbar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine als allererstes UNO-Organ den Kreml wegen Verletzung des ukrainischen Luftraums verurteilt hat.

Inzwischen legt die Behörde mit Sitz in Montréal nach: In einem ihrer seltenen Bulletins zu gravierenden Sicherheitsbedenken warnt sie ihre 193 Mitgliedstaaten, dass Russland Icao-Regeln verletze. Es sei höchst fraglich, ob die russischen Aufsichtsbehörden zwingende Sicherheitsvorschriften weiterhin durchsetzen.

Ersatzteilmangel wegen Sanktionen

Die Icao gibt Moskau bis zum 14. September Zeit, sich wieder regelkonform zu verhalten. Ansonsten will sie das bisher vertrauliche Kritikpapier veröffentlichen. Die EU begrüsst die UNO-Schelte ausdrücklich. Für Josep Borrell, den EU-Aussenbeauftragten, gefährdet Russland Menschenleben, gerade auch russische.

Das Hauptproblem: Es fehlen wegen der Sanktionen Ersatzteile für viele der rund 980 in Russland betriebenen Zivilflugzeuge, viele davon im Westen hergestellt. Fluggesellschaften müssen immer mehr Flugzeuge aus dem Verkehr ziehen und ausschlachten, damit andere weiterfliegen können.

Umgeflaggt und de facto gestohlen

Drei Viertel der Flugzeuge sind geleast und im Ausland registriert, etwa in Irland oder auf den Bermudas, wo Leasinggesellschaften sitzen. Für die Flugtauglichkeit dieser Flugzeuge sind die jeweiligen Flaggenländer zuständig.

Flughafen Moskau.
Legende: Flugzeuge der Aeroflot auf den Moskauer Flughafen Scheremetjevo am 15. November 2021. imago images/Marc Schüler

Doch die Russen haben Hunderte von Flugzeugen einfach umgeflaggt und in Russland registriert – gegen den Willen der Besitzer. De facto haben sie sie gestohlen. Denn ob und in welchem Zustand die Leasinggesellschaften ihre Flieger je wieder zurückerhalten, ist ungewiss.

UNO kann nicht sanktionieren

Moskau entscheidet nun selber, ob es seine Flugzeuge als flugtauglich erachtet. Die Zweifel sind nicht nur bei der UNO gross, dass die Russen das seriös tun. Und auch plausibel aufgrund der Mangellage. Nach dem Iran, der ebenfalls ein gewaltiges Ersatzteil- und Wartungsproblem hat, dürfte nun auch Russland immer mehr marode Maschinen einsetzen.

Strafen kann die Icao nicht verhängen. Weder kann sie Russland zwingen, Flugzeuge am Boden zu lassen, noch kann sie andere Staaten verpflichten, Maschinen von Aeroflot und Co Landerechte zu verweigern. Sie kann sie dazu nur ermuntern und Passagiere davor warnen, mit ihnen zu fliegen. Vorläufig fliegen russische Fluggesellschaften immer noch Dutzende von Ländern an.

Russische Maschinen im Dienst der UNO

Ein Problem hat jetzt auch die UNO selber. Sie mietet regelmässig Flieger, nicht zuletzt russische. Sie sind billiger als westliche. Momentan fliegen 62 russische Frachtflugzeuge und Helikopter für UNO-Hilfsoperationen oder Blauhelmeinsätze.

Folgt die UNO ihrer eigenen Sonderorganisation, muss sie die Mietverträge mit den Russen sofort kündigen. Das fordern UNO-Angestellte. Der Chef der UNO-Operationen und jener des Welternährungsprogramms werfen zumindest die Frage auf.

Entscheiden müsste UNO-Generalsekretär António Guterres. Der tut sich aber schwer. Er will Moskau nicht brüskieren, um das Abkommen für ukrainische Getreideexporte nicht zu gefährden. Offenkundig schafft Russlands grobfahrlässiger und regelwidriger Umgang mit der Flugsicherheit zunehmend Probleme.

Echo der Zeit, 18.08.2022, 18:00 Uhr

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