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Vermittlung im Krieg Versagt die UNO in der Ukraine?

Mit dem russischen Angriff auf den ukrainischen Hafen Odessa am Tag nach der Unterzeichnung des Getreideabkommens stellt sich die Frage, ob es nicht bereits Makulatur ist. Das nährt die Kritik, wonach die Vereinten Nationen im Ukraine-Krieg nutzlos seien und total versagt hätten.

UNO-Generalsekretär António Guterres sprach von einem «Signal der Hoffnung am Schwarzen Meer». Nur Stunden später bombardierte Russland den Hafen von Odessa – und spielte damit zwei seiner Stärken im Ukraine-Krieg aus: seine Unberechenbarkeit und seine Skrupellosigkeit.

Kritiker nennen Sicherheitsrat einen «Debattierklub»

Nicht zum ersten Mal desavouiert Diktator Wladimir Putin damit den UNO-Chef. Nach Kriegsbeginn verweigerte er ihm zunächst wochenlang eine Begegnung. Nicht einmal telefonieren wollte Putin mit Guterres. Als der Generalsekretär dann im April im Kreml empfangen wurde, machten die Russen klar: An einem Friedensplan, an Friedensverhandlungen sind sie nicht interessiert. Allenfalls über humanitäre Fragen könne man diskutieren. Am Ende erreichte Guterres die Evakuierung ukrainischer Kämpfer aus dem Asow-Stahlwerk in Mariupol. Kein echtes Zugeständnis Moskaus, denn der Abzug der Letzten, die Widerstand leisteten, ermöglichte Russland die volle Kontrolle über die Stadt.

Kriege zu verhindern, Frieden zu bewahren sind die Kernaufgaben der Vereinten Nationen. Gemessen an diesem Ziel ist die UNO im Ukraine-Krieg tatsächlich gescheitert. Bloss: Darf man sie messen an einem Ziel, das sie mit ihren Mitteln gar nicht erreichen kann?

Vor allem, weil auch Positives zu vermelden ist: Anders, als mitunter behauptet wird, sind im UNO-Sicherheitsrat nicht alle Geschäfte total blockiert. Etwa beim UNO-Engagement in Afghanistan, in Somalia, beim Waffenembargo gegen Libyen hat sich der Rat weiter als handlungsfähig erwiesen.

Und während Kritiker den durch das russische Veto gelähmten UNO-Sicherheitsrat bloss noch als nutzlosen «Debattierklub» abtun, sehen manche gerade in seiner Funktion als Diskussionsplattform eine Schlüsselaufgabe. Tatsächlich ist die UNO der Ort, an dem Russland vor der Weltöffentlichkeit kritisiert wird und wo jedermann sieht, wie schwach Putins Argumente sind.

Über 1000 UNO-Angestellte in der Ukraine aktiv

Dazu kommt: Die UNO besteht nicht nur aus dem Sicherheitsrat. In der UNO-Generalversammlung mussten die Länder Stellung beziehen: 141 taten das gegen, nur fünf zugunsten von Russland. Dank solcher Positionsbezüge kann sich die Bevölkerung eines Landes ein Bild von ihrer Regierung machen. Zudem beschloss die Generalversammlung, Russland aus dem UNO-Menschenrechtsrat zu werfen.

Es gibt weitere Beispiele: UNO-Organisationen sind weiter in der Ukraine aktiv, mit insgesamt über tausend Angestellten, die vor allem humanitäre Hilfe leisten. Rund neun Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer werden von der UNO unterstützt. Die UNO bemüht sich ausserdem, die Kollateralschäden des Ukraine-Kriegs für Drittweltländer einzugrenzen.

Hingegen trifft zu: Ein UNO-Friedensplan ist nicht in Sicht, auch kein Einsatz von UNO-Blauhelmtruppen oder ein UNO-Ukraine-Wiederaufbauplan. Als Friedensvermittler tritt Generalsekretär Guterres nicht auf. Schuld daran ist weder Unwille noch Unvermögen. Vielmehr will vor allem Russland gar keine UNO-Vermittlung und trifft null Anstalten, seine Offensive zu beenden.

Der Ukraine-Krieg zeigt, wie fragil das internationale System heute ist. Die UNO kann letztlich nur tun, was man sie tun lässt.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

SRF 4 News, 25.07.2022, 9 Uhr

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