Generalmajor Patrick Gauchat ist der erste Schweizer, der eine UNO-Blauhelm-Mission leitet – jene der Untso (deutsch: UNO-Organisation zur Überwachung des Waffenstillstands) im Nahen Osten. Nach einigen Jahren relativer Ruhe wird in der Region wieder gekämpft und Völkerrecht missachtet.
SRF News: Seit 1948 gibt es die Untso, die UNO-Friedensmission im Nahen Osten. Weshalb braucht es sie?
Patrick Gauchat: Es ist die erste UNO-Friedensmission. Ihr Mandat ist recht simpel. Es hatte ursprünglich auf einer A4-Seite Platz. Heutige Blauhelm-Mandate sind viel komplizierter. Die Aufgabe der Untso war und ist es, im Nahen Osten Waffenstillstände zu beobachten und so zu einem nachhaltigen Frieden beizutragen.
Kann man heute noch von Waffenstillständen sprechen, nachdem mancherorts inzwischen wieder Krieg herrscht?
Der Krieg ist im Nahen Osten immer wieder zurückgekehrt: 1956, 1967, 1973, 1978 und 2006. Immerhin gibt es mittlerweile zwischen Israel und Ägypten sowie Israel und Jordanien Friedensverträge. Und die Waffenstillstände, etwa auf dem Golan zwischen Israel und Syrien, gelten immer noch. Bloss werden sie derzeit nicht respektiert. Der Waffenstillstand wird von einer Seite aktuell schwer verletzt.
Unsere Präsenz kann das Klima für Friedensverhandlungen verbessern.
Wir bemühen uns, den Rechtszustand wieder herzustellen, denn vor allem die Zivilbevölkerung leidet unter der jetzigen Situation.
Ist die Untso den wieder grösseren Herausforderungen gewachsen?
Wir können nicht direkt intervenieren. Wir sind bloss Beobachter. Immerhin sind wir als solche anerkannt. Keines der beteiligten Länder hat jemals die Qualität und Korrektheit unserer Rapporte angezweifelt: nicht Israel, nicht Syrien und nicht die Libanon. Offenkundig erachtet man unsere Arbeit nach wie vor als nützlich.
UNO-Blauhelme auf den Golanhöhen
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Bild 1 von 9. UNO-Beobachtungsposten auf den Golanhöhen: Blick in Richtung Osten. Verletzungen des Waffenstillstandes werden tagtäglich festgestellt. Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
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Bild 2 von 9. Der Schweizer Generalmajor Patrick Gauchat steht vor der Totentafel der Untso-Friedensmission in Jerusalem: «Immer wieder sind Verluste zu beklagen.». Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
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Bild 3 von 9. Winzig klein, aber notwendig: Der Schutzbunker für die UNO-Blauhelmsoldaten auf dem Golan. Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
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Bild 4 von 9. Arbeit im Büro des Beobachtungspostens 5.1: Die Berichte der UNO-Militärbeobachter gelten als höchst seriös. Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
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Bild 5 von 9. Der Blick mit Ferngläsern vom Beobachtungsposten aus: Eigentlich sollte das Gelände ringsum vollständig entmilitarisiert sein. Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
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Bild 6 von 9. Der aus Schweden stammende UNO-Militärbeobachter Jerry Nilsson: «Die Lage ändert sich jeden Tag.». Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
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Bild 7 von 9. Beobachten, überwachen, inspizieren: Militärbeobachter der Untso-Mission bereiten sich auf eine Patrouillenfahrt vor. Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
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Bild 8 von 9. Panzerwracks auf dem Golan erinnern an die Kriege von 1967 und 1973. Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
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Bild 9 von 9. Politisch, aber auch physisch vermintes Gelände auf den Golanhöhen. Bildquelle: SRF / Fredy Gsteiger.
Ist es sinnvoll, Friedensmissionen derart lange, jene der Untso besteht nun seit länger als 75 Jahren, fortzuführen?
Natürlich war das nicht die Grundidee. Idealerweise hat man kurze Missionen. Das bedingt aber, dass die Politik ihren Teil der Aufgabe erfüllt, nämlich Friedensverträge auszuhandeln und abzuschliessen. Das Mandat der Untso sieht uns nicht als Friedensvermittler. Aber unsere Präsenz kann das Klima für Friedensverhandlungen verbessern. Dank uns weiss alle Welt, wie sich die Kriegsparteien verhalten. Das kann Druck auf sie auslösen und eine mässigende Wirkung haben.
Aber wenn sich die Lage im Terrain zuspitzt, wird auch die Tätigkeit von Friedenssoldaten und Militärbeobachtern riskanter.
Ja, die Risiken haben zugenommen. Wir sind an gefährlichen Orten tätig. Auch die Untso hatte immer wieder Todesopfer zu beklagen. Glücklicherweise gab es in der jetzigen Kriegssituation bisher nur Verletzte. Die UNO unternimmt viel, um Friedenssoldaten zu schützen.
Sind Sie überzeugt, dass die fünf Länder, in denen die Untso tätig ist – Israel, Syrien, Libanon, Jordanien, Ägypten – noch immer hinter dem Mandat der Mission stehen?
Ja. Ohne geht es nicht. Die UNO kann unmöglich Friedensoperationen gegen den Willen der beteiligten Staaten durchführen. Wir müssen also unsere Nützlichkeit immer wieder beweisen.
Sie kommandieren die Untso seit bald vier Jahren. Was hat Sie in dieser Funktion am meisten beeindruckt?
Die Einsicht, dass sich alles ständig verändert. Als ich mein Amt antrat, grassierte die Covid-Pandemie. Dann gab es Erdbeben. Und jetzt wieder Kriege. Man muss sich unablässig anpassen. Doch der Nahe Osten ist historisch und geografisch faszinierend. Mit hochinteressanten, liebenswerten Menschen.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.