Die rund 150 Staats- und Regierungschefs, die diese Woche an der UNO-Gipfelwoche teilnahmen, stiessen am Eingang des Hauptsitzes der Vereinten Nationen auf ein riesiges Gemälde. Es stammt vom brasilianischen Künstler Eduardo Kobra und zeigt einen Vater, der seiner Tochter eine Weltkugel überreicht. Der Welt Sorge tragen – das drückt das Bild aus.
Darum ging es während der hunderten von Reden, Begegnungen und Diskussionen. Wie das geschehen soll – da klaffen die Meinungen jedoch weit auseinander. Es findet ein Ringen um die Deutungshoheit statt, es läuft ein Kampf der Systeme. Hier der Westen, der sich auf Völkerrecht, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte beruft, da die Autokraten, angeführt von China und Russland, die etwas anderes wollen.
Die Liste der Sorgen ist lang
Gerungen wird um Staaten, die noch nicht klar Position bezogen haben, auch nicht zu Russlands Krieg gegen die Ukraine. Er stand umso mehr im Vordergrund, als der Kreml beschloss, den Krieg zu intensivieren und mit der Atomdrohung eine Steilvorlage nach New York lieferte.
Scharf bezogen westliche Staats- und Regierungschefs Position und manche aus Schwellen- und Drittweltländern. Aber eben längst nicht alle. Die Welt steht nicht «wie ein Mann» hinter der Ukraine. Viele Machthaber sympathisieren mit Diktator Wladimir Putin. Für noch viel mehr stehen andere Sorgen als jene um die Ukraine im Vordergrund: Hunger, Umweltkatastrophen, Schulden, das absehbare Verfehlen der UNO-Entwicklungsziele, regionale Konflikte – die Liste ist lang.
Weder US-Präsident Joe Biden noch seine westlichen Amtskolleginnen und -kollegen tappten in die Falle, einzig über die Ukraine zu sprechen. Sie äusserten viel Verständnis für die Anliegen der anderen, reichten ihnen die Hand, lancierten Aktionspläne, versprachen viel Geld. Sie wissen: Sie müssen die Herzen und Köpfe der Menschen und der Mächtigen im Rest der Welt gewinnen.
Die Diktatoren bieten keine Vision
Es gibt aber starke Gegenkräfte. Auch Russland und – weitaus einflussreicher – China scharen Länder hinter sich. Sie streben nach einer neuen, einer anderen Weltordnung. Die jetzige entstand aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, als die UNO geschaffen wurde. Die Feder führten die USA. Doch auch China und die damalige Sowjetunion bekannten sich dazu – sowie alle anderen der heute 193 UNO-Mitgliedstaaten. Diese Weltordnung setzt Recht vor Macht. Aussenpolitisch durch das Völkerrecht. Innenpolitisch mit den Menschenrechten. Peking und Moskau lehnen inzwischen diese Weltordnung als «zu westlich» entschieden ab.
Doch für welche Weltordnung sie selber eintreten, bleibt unklar. Die Diktatoren Wladimir Putin und Xi Jinping waren nämlich die prominenten Abwesenden. Wenn sich fast alle versammeln, setzt man auch ein Zeichen, indem man fernbleibt. Natürlich hat Putins und Xis Abseitsstehen – nicht zum ersten Mal während der UNO-Gipfelwoche – auch damit zu tun, dass sie im Land des Widersachers USA stattfindet. Aber man fragt sich: Haben die beiden Potentaten der Weltöffentlichkeit gar keine überzeugende Botschaft zu vermitteln? Wie soll eine neue, bessere Weltordnung aussehen? Was sind ihre Werte, ihre Visionen, ihre Vorstellungen? Da kommt bisher einfach nichts.
An der jetzigen Weltordnung, auf der die UNO-Charta beruht, gibt es viel zu bemängeln. Die Umsetzung lässt gewaltig zu wünschen übrig. Doch eine attraktive chinesisch-russische Alternative ist nirgends zu erkennen.