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UNO-Welternährungsprogramm Friedensnobelpreis: Eine überraschende, aber plausible Wahl

Bis vor wenigen Jahren galt der Hunger in der Welt zwar nicht als besiegt, aber man schien auf dem richtigen Weg. Die Zahl der Hungernden weltweit nahm ab. Inzwischen steigt die Kurve wieder an, was auch mit der grossen Zahl lang andauernder Konflikte zu tun hat – Jemen, Syrien, Afghanistan, Somalia, Sahelzone und weitere. Dazu kommt nun die Coronakrise, welche arme Länder besonders hart trifft. Das Welternährungsprogramm der UNO, in der englischen Abkürzung als WFP bekannt, dürfte künftig also noch stärker gefordert sein.

Schon jetzt ist es eine der wichtigsten und grössten UNO-Organisationen. Mit mehr als 15'000 Angestellten rund um den Globus und einem Budget von über sieben Milliarden Dollar versorgt es fast hundert Millionen Menschen in 88 Ländern mit dem Lebensnotwendigen. Als im Frühjahr viele Fluggesellschaften Corona-bedingt ihre Flieger am Boden hatten, war die Nothilfeflotte des WFP operativ die grösste Fluggesellschaft weltweit, sagte heute ein WFP-Sprecher.

Niemand hat etwas gegen den Kampf gegen Hunger

Dass der Friedensnobelpreis 2020 an das Welternährungsprogramm geht, ist nachvollziehbar. Es dürfte zudem eine der weniger umstrittenen Auszeichnungen des Nobelpreiskomitees sein. Wer kann schon etwas gegen den Kampf gegen Hunger haben? Und wer bestreitet, dass Hungerbekämpfung zur Stabilität und damit zum Frieden beiträgt? Sogar die US-Regierung von Donald Trump, die sonst nicht müde wird, die UNO und manche ihrer Organisationen sowie den Multilateralismus insgesamt madig zu machen, steht hinter dem WFP. Dessen Direktor, der Amerikaner David Beasley, fühlt sich und seine Organisation weiterhin von Washington gestützt und getragen, erklärte er vor einiger Zeit gegenüber SRF.

Das Nobelpreiskomitee verfolgt diesmal mit der Preisvergabe ein konkretes Ziel: Sie soll als Aufruf an Regierungen, Unternehmen und Private verstanden werden, dem Welternährungsprogramm die nötigen umfangreichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Appell ist umso nötiger als die Coronapandemie gerade in den ärmsten Ländern zusätzlich Leid und Not verursacht. Zugleich dürfte sich die Zahlungsbereitschaft wohlhabender Staaten verringern, zumal sie – ebenfalls Corona-bedingt – ihre eigene Wirtschaft vor dem Absturz retten müssen.

Politische Wirkung des Preises ist beschränkt

Der Friedensnobelpreis darf in seiner Wirkung weder unter- noch überschätzt werden. Sein Renommee ist unbestritten. Das Interesse bei der Verkündung des Gewinners ist jeweils riesig – entsprechend gross ist die symbolische Wirkung des Preises. Eine ganz andere Frage ist, ob der Preis konkret politisch viel bewirkt. Da sind Zweifel angebracht. So hat die Verleihung an die internationale Kampagne gegen Atomwaffen Ican vor drei Jahren die Weltaufmerksamkeit zwar auf die Problematik der riesigen Atomarsenale gelenkt, in die wieder massiv investiert wird. Doch eine Trendwende hin zu nuklearer Abrüstung hat der Friedensnobelpreis nicht bewirkt.

Ähnlich dürfte es dieses Jahr mit dem Welternährungsprogramm als Preisträger sein: Das Bewusstsein, man müsste mehr tun, um den Hunger zu bekämpfen, dürfte geschärft werden. Doch ob dieser Erkenntnis auch Taten und eine grössere Spendenbereitschaft folgen, ist ungewiss.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

SRF4 News, 09.10.2020, 12.00 Uhr

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