Blutige Unruhen: In Haiti wird seit September auf den Strassen demonstriert. Die Demonstranten verlangen, dass Staatspräsident Jovenel Moïse zurücktritt. Die Demonstrationen forderten gemäss Nachrichtenagenturen bis jetzt mindestens 40 Todesopfer. Die letzten fünf wurden am Dienstag bestattet. Eine der Toten war ein unbeteiligtes 15-jähriges Mädchen. Den Unmut der Bevölkerung hat das Verhalten des Präsidenten hervorgerufen. Er steht im Verdacht, korrupt zu sein. Zu diesem Vorwurf gibt es schon drei Untersuchungsberichte, wie SRF-Korrespondent Matthias Kündig sagt.
Private Aktivitäten des Präsidenten: «Moïse ist Mitbesitzer einer Firma, die mit Bananen handelt», erklärt Kündig. Diese Firma habe vom Staat den Auftrag erhalten, eine Strasse zu bauen. «Diese existiert bis heute nicht.» Was mit dem Geld für die Strasse passiert ist, könne die Firma nicht erklären. Doch nicht nur der Präsident steht im Verdacht, korrupt zu sein. «In der politischen Klasse in Haiti gibt es kaum jemanden, der sich nicht schamlos an Staatsgeldern bedient hat», sagt Kündig. Dies gelte sowohl für die Regierungsmitglieder als auch für die politische Opposition.
Desolate Sicherheitslage und protestierende Polizisten: In Haiti sind viele kriminelle Banden aktiv. Sie können von Polizei kaum bekämpft werden, denn diese hat grosse eigene Probleme. Am Sonntag haben die Polizisten bereits zum zweiten Mal für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert. Da es immer wieder zu Demonstrationswellen der Bevölkerung komme, stünden die Polizisten quasi im Dauereinsatz, sagt der Korrespondent. Ein Polizist verdient ungefähr 200 Franken im Monat.
Unverhältnismässige Polizeieinsätze: Im Oktober 2019 wurde zudem die UNO-Friedensmission aus Haiti abgezogen. Sie fungierte als Aufsichtsorgan über die Polizei funktioniert und hat die Polizei beraten. Seitdem die Truppe nicht mehr im Land ist, gibt es keine Aufsicht mehr über die Polizei. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International gibt es Hinweise, dass die Polizei bei Demonstrationen unverhältnismässig brutal vorgehe und scharfe Munition verwende. Gemäss dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte ist rund die Hälfte der Toten von der Polizei getötet worden.
Von Krise zu Krise: Beobachter befürchten, dass Haiti bald unregierbar wird. Es hat keine funktionierende Regierung und bald läuft auch die Amtsperiode des derzeitigen Parlamentes aus. «In der Vergangenheit haben in ausweglosen Situationen jeweils die USA oder die internationale Gemeinschaft eingegriffen», sagt Kündig. Doch dieses Mal sei es fraglich, ob es wieder dazu komme, denn nun herrsche eine sogenannte Haiti-Fatigue. Das Land gilt als Fass ohne Boden.
Argwohn der Bevölkerung gegenüber internationaler Hilfe: Einerseits misstrauen die Menschen den Hilfswerken, seitdem bekannt wurde, dass es zu sexuellen Übergriffen von Hilfswerkmitarbeitern kam. Diese sind bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Andererseits wird die internationale Unterstützung als Grund dafür angesehen, warum haitianische Politiker keine Verantwortung übernehmen können. Robert Faton, ein bekannter haitianischer Soziologe, sagte einst dazu: «Wir Haitianer müssen endlich lernen, uns selber aus dem Sumpf zu ziehen.»