Darum geht es: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Russland wegen «wiederholter und eklatanter» Menschenrechtsverstösse in der Ukraine und für den Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 im Jahr 2014 verurteilt. Die Ukraine und die Niederlande hatten gegen das Land Klage erhoben.
Urteil umfasst vier Beschwerden: Das nun veröffentlichte Urteil ist fast 500 Seiten lang und nimmt vier Beschwerden gegen Russland zusammen. «Alle Punkte sind einstimmig von allen Richterinnen und Richtern verabschiedet worden», sagt Helen Keller, Professorin für Völkerrecht an der Uni Zürich und ehemalige Richterin am EGMR.
- Abgeschossene Boeing MH17 im Jahr 2014: Die Boeing der Malaysia Airlines mit der Flugnummer MH17 war am 17. Juli 2014 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur über umkämpftem Gebiet in der Ostukraine von einer russischen Luftabwehrrakete getroffen worden, die prorussische Rebellen abgefeuert hatten. Alle 298 Menschen an Bord starben, darunter 196 aus den Niederlanden, 38 Australier und vier Deutsche. Der EGMR verurteilte Russland wegen des Abschusses des Flugzeugs. Russland habe es versäumt, das Ziel der Rakete genau zu überprüfen und das Leben der Menschen an Bord zu schützen.
- «System von Verstössen»: Schon im Jahr 2014 hat die Ukraine gegen Russland eine Beschwerde eingereicht und hat auf systematische Menschenrechtsverletzungen in der Ostukraine hingewiesen. Die Richterinnen und Richter stellten denn auch fest, dass Russland im Konflikt mit der Ukraine schon vor dem Krieg, konkret im Zeitraum vom 11. Mai 2014 bis zum 16. September 2022, ein «System von Verstössen» gegen die Menschenrechte etabliert hatte. Dazu gehörten laut dem EGMR unter anderem wahllose militärische Angriffe, Hinrichtungen von Zivilisten und ukrainischen Militärangehörigen, Folter und Vertreibung.
- Entführung und Verschleppung von Kindern aus der Ukraine: Das Urteil hält fest, dass vor und während dem Krieg Kinder aus der Ukraine von Russland unrechtmässig entführt und nach Russland gebracht worden sind, wo sie von russischen Familien zum Teil adoptiert wurden.
- Klage nach Ausbruch des Krieges: Rasch nach dem Einmarsch Russlands 2022 hat die Ukraine noch einmal Klage beim EGMR wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen erhoben. Auch in diesem Punkt wurde Russland verurteilt.
Das detaillierte Urteil zum Nachlesen
Folgen dieses Urteils: Die Professorin für Völkerrecht hält das Urteil für «historisch». «Es ist das erste internationale Urteil, das die Verantwortung für diese Gräueltaten ganz eindeutig Russland zuweist», sagt Keller. Auch wenn Russland im Moment nichts tun werde, um diese Schuld anzuerkennen, sei das Urteil wichtig. Einerseits sei es in der Gegenwart wichtig für die betroffenen Menschen, andererseits rechnet Keller damit, dass das Urteil bedeutend sei, sobald es einmal um Friedensverhandlungen zwischen den Kriegsparteien gehe. Sie spricht Fragen von Schadenersatzzahlungen an oder die Klärung der Nationalitätszugehörigkeit ehemals entführter Kinder.
Russlands Ausschluss aus dem Europarat: Russland erkennt die Gerichtsurteile des EGMR nicht an. Das Land wurde wegen seines seit Februar 2022 andauernden Angriffskrieges gegen die Ukraine aus dem Europarat ausgeschlossen. Damit ist es auch kein Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention mehr, für deren Einhaltung der Gerichtshof sorgt. Dieser kann aber weiterhin über Vorfälle entscheiden, die bis zu sechs Monate nach dem Ausschluss geschehen sind.