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Urteil gegen Bolsonaro Brasiliens Demokratie auf dem Prüfstand

Nicht einmal Donald Trump konnte es verhindern: Jair Bolsonaro ist vom Obersten Gerichtshof Brasiliens schuldig gesprochen, einen versuchten Staatsstreich vorbereitet zu haben. Der US-Präsident bezeichnete den Prozess mehrfach als «Witch Hunt», als Hexenjagd.

Zudem versuchte er, wirtschaftlichen Druck aufzubauen: Die USA verhängten 50 Prozent Strafzölle auf wichtige brasilianische Exporte und entzogen Richtern des Supremo Tribunal Federal ihre US-Visa. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wies die Einmischung zurück und sprach von einem Angriff auf die nationale Souveränität.

Historisches Urteil für Brasilien

Für Brasilien markiert das Urteil dennoch einen historischen Einschnitt. Erstmals wird ein ehemaliger Präsident wegen eines versuchten Staatsstreichs verurteilt. Es zeigt: Niemand steht über den Institutionen. Die Richter beschleunigten das Verfahren, weil 2026 Präsidentschaftswahlen anstehen. Sie wollten verhindern, dass die Debatte um Bolsonaros Rolle im Zusammenhang mit dem Putschversuch den Wahlkampf überschattet. Doch diese Hoffnung dürfte sich nicht erfüllen. Zwar unterstützt laut Umfragen eine Mehrheit die Verurteilung, doch die Polarisierung bleibt tief und die Fronten verhärtet.

Denn die Plädoyers der Richter haben ein ohnehin komplexes Szenario weiter verkompliziert. Während die Mehrheit Bolsonaro als «Anführer einer kriminellen Organisation» einstuft, erklärte Richter Luiz Fux das Gericht für nicht zuständig. Sein abweichendes Votum wird im Bolsonaro-Lager als Hoffnungsschimmer gesehen – nicht für eine Berufung, die ausgeschlossen ist, aber für spätere Versuche, das Verfahren annullieren zu lassen.

Umweg für Bolsonaro noch nicht vom Tisch

Eine weitere Option für Bolsonaro wäre der Umweg über das Parlament. Dort liegt ein Entwurf für ein Amnestiegesetz vor, das ihn und auch andere begünstigen könnte, die wegen des Sturms auf das Regierungsviertel am 8. Januar 2023 verurteilt wurden. Politisch wäre eine solche Amnestie ein Befreiungsschlag für Bolsonaro, gleichzeitig aber ein gefährliches Signal: dass selbst Angriffe auf Institutionen letztlich straffrei bleiben könnten.

In Brasilien werfen Kritiker dem Supremo Tribunal Federal schon lange vor, seine Kompetenzen zu stark ausgeweitet und eine quasi politische Rolle übernommen zu haben. Besonders Alexandre de Moraes, der Berichterstatter im Fall Bolsonaro, gilt als Symbol dieser Entwicklung. Seine harte Linie gegen Fake News, Desinformationsnetzwerke und die radikale Rechte machte ihn für die einen zu einer Schutzfigur der Demokratie, für die anderen zu einem Richter mit übermässiger Machtfülle.

Verfahren mit Signalwirkung

International richtet sich der Blick auf Brasilien als Beispiel dafür, wie sich demokratische Institutionen gegen Angriffe von innen wehren können – und wie schwierig es ist, dabei nicht selbst zum politischen Akteur zu werden. Eine Richterin verwies ausdrücklich auf die Rolle von Big Tech: Plattformen hätten mit Desinformation und digitaler Mobilisierung den Angriff auf die Demokratie erst ermöglicht. Damit hat das Verfahren auch globale Signalwirkung. Es zeigt, dass das demokratische Zusammenleben nicht nur in Parlamenten und Gerichtssälen entschieden wird, sondern auch im digitalen Raum – dort, wo politische Bewegungen organisiert, Feindbilder aufgebaut und Angriffe vorbereitet werden.

Es ist klar: Auch nach dem Urteil wird Brasilien nicht so schnell zur Ruhe kommen.

Karen Naundorf

Südamerika-Korrespondentin

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Karen Naundorf ist SRF-Korrespondentin in Südamerika, Standort Buenos Aires. Sie hat in Berlin und Barcelona Kommunikation studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg absolviert und ist Fellow des Pulitzer Center on Crisis Reporting.

10 vor 10, 11.9.2025, 21.50 Uhr

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