Das ist passiert: Vier der fünf Richter des Obersten Bundesgerichts von Brasilien sprachen den 70-Jährigen Jair Bolsonaro schuldig, wie die TV-Live-Übertragung zeigte. Damit ist Bolsonaro der erste Ex-Präsident Brasiliens, der wegen eines Umsturzversuchs verurteilt wurde. Das Strafmass umfasst eine Haftstrafe von 27 Jahren und drei Monaten. Bolsonaro selbst war nicht persönlich auf der Anklagebank erschienen.
Urteil kaum anfechtbar: In Brasilien gibt es keine höhere Instanz als das Oberste Bundesgericht. Deshalb ist eine Anfechtung des Urteils Expertinnen und Experten zufolge unwahrscheinlich. Bolsonaros Anwälte können aber formelle Unklarheiten – keine grösseren inhaltlichen Änderungen – im Urteil anfechten. Erst, wenn darüber entschieden ist, wird das Urteil rechtskräftig und die Haftstrafe vollstreckt.
So begründen die Richter das Urteil: Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft und der Richter hatte Bolsonaro nach seiner Wahlniederlage Ende 2022 mit Militärs und Verbündeten einen Staatsstreich gegen die Regierung seines linken Nachfolgers Luiz Inácio Lula da Silva geplant. Ziel sei es gewesen, einen Ausnahmezustand zu verhängen und Neuwahlen durchzusetzen – allerdings habe Bolsonaro die Unterstützung der Militärführung nicht gewonnen. Auch wenn Bolsonaro während des Sturms auf den Kongress nicht selbst in Brasilien, sondern in den USA, war, wirft ihm das Gericht eine indirekte Beteiligung an den Geschehnissen vor.
Das sagte die Verteidigung: Bolsonaros Verteidigung wies die Vorwürfe im gesamten Verfahren zurück und argumentierte, dass keine stichhaltigen Beweise für eine Beteiligung Bolsonaros an einem Umsturzplan vorlägen. Seine Anwälte sprachen von einem «politischen Prozess», in dem ihr Mandant keine faire Chance gehabt habe. Sie verwiesen auf den Obersten Richter Moraes, der sowohl eine zentrale Rolle in den Ermittlungen gespielt habe als auch selbst als mutmassliches Ziel der Putschpläne genannt werde.
Prozess mit internationaler Dimension: Bolsonaro gilt als enger Verbündeter von US-Präsident Donald Trump und wurde bisweilen als «Tropen-Trump» bezeichnet. Die Bilder der Krawalle in Brasilia erinnerten an die Erstürmung des US-Kongresses in Washington zwei Jahre zuvor. Trump selbst wurde in ähnlichen Vorwürfen angeklagt, ein Verfahren gegen ihn wurde jedoch kurz vor seiner erneuten Vereidigung eingestellt.
«Wichtiger Moment für Brasilien»: Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel bezeichnete das Urteil als wichtigen Moment für Brasilien. Er verwies darauf, dass es in der Geschichte des Landes zahlreiche gescheiterte und erfolgreiche Putschversuche gegeben habe. Doch meist seien die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Im Gegensatz zu Ländern wie Argentinien, wo Militärs strafrechtlich verfolgt wurden, hatte es in Brasilien nie eine vollständige juristische Aufarbeitung gegeben, so der Professor für internationale Beziehungen an der Universität Fundação Getulio Vargas in São Paulo.
Mögliche Proteste: Brasilien ist stark polarisiert zwischen Anhängern des linken Präsidenten Lula und den Unterstützern seines rechten Vorgängers Bolsonaro. Viele sehen das Strafverfahren als politisch motiviert, andere als Beweis für die Stärke der Institutionen. Die nächsten Wochen könnten von Protesten geprägt sein, sagt Stuenkel.