Zum Inhalt springen

Urteile im Prozess um Nizza Wichtiger Schritt für die öffentliche Aufarbeitung des Anschlags

War der Anschlag von Nizza das Werk eines brutalen Psychopathen, wie es das psychologische Profil des Täters nahelegte, oder war es ein islamistisch motivierter Anschlag?

Das speziell geschaffene Antiterrorgericht in Paris hat sich für die zweite Version entschieden. Nicht, weil die Terrormiliz Islamistischer Staat (IS) die Urheberschaft des Anschlags für sich beansprucht hatte. Dies sei rein opportunistisch gewesen, urteilte das Gericht. Denn es gebe keinerlei Beleg für Kontakte des Täters zum IS.

Aber der Lenker des weissen Lastwagens auf der «Promenade des Anglais» am französischen Nationalfeiertag 2016 in Nizza sei zweifellos islamistisch motiviert gewesen. Mindestens zwei der Angeklagten hätten dies wissen müssen, entschied das Gericht. Es verurteilte die beiden Männer zu 18 Jahren Gefängnis, nur zwei Jahre weniger als die Höchststrafe für den Straftatbestand «Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung».

Opfersicht nicht berücksichtigt, aber dennoch wichtig

Die Angeklagten hatten stets bestritten, dass sie gewusst hätten, was ihr Bekannter plane. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Vorwürfe auf der Rekonstruktion von SMS aufgebaut, die Täter und die Angeklagten ausgetauscht hatten. Die Verteidigung warnte vor einem Justizirrtum. Gut möglich, dass sie nun Berufung einlegt.

Der Prozess zum Anschlag in Nizza sollte jedoch nicht nur Klarheit über die juristische Verantwortung schaffen – er wollte auch die Folgen des Anschlags für die Opfer und ihre Familien zeigen. Hunderte von ihnen haben während fünf Verhandlungswochen ausgesagt und eindrücklich geschildert, wie sie bis heute leiden.

Das Gericht hat diese Aussagen der Opfer und ihrer Angehörigen bei den Verhandlungen nicht kommentiert. Es hat sie auch im Urteil nicht festgehalten. Aber für die öffentliche Aufarbeitung war diese Opfersicht wohl genauso wichtig wie der Richterspruch.

Daniel Voll

Frankreich- und Maghreb-Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Daniel Voll ist seit 2018 Frankreich-Korrespondent von Radio SRF mit Sitz in Paris. Der Maghreb gehört ebenfalls zu seinem Berichtsgebiet. Zuvor war er unter anderem als EU-Korrespondent in Brüssel und als Auslandredaktor für SRF tätig.

SRF 4 News, 13.12.2022, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel