Zum Inhalt springen

US-Armee zieht ab Rückzug aus Afghanistan: Ein Eingeständnis des Scheiterns

Barack Obama wollte es, Donald Trump wollte es, Joe Biden tut es nun: Abziehen aus Afghanistan. Wenn die Amerikaner gehen, ist klar: Die Deutschen, die Briten, die insgesamt gegen 7000 Soldaten aus mehr als einem Dutzend weiterer Nato-Länder werden ihnen folgen.

«Gemeinsam rein, gemeinsam raus», lautete stets das Motto. Und ohne die Amerikaner, die das Rückgrat des Afghanistan-Einsatzes bilden, können die anderen gar nicht bleiben – aus logistischen und aus Sicherheitsgründen.

Mit dem Rückzug wird erstmals klar gesagt: Afghanistan hat für den Westen, für die USA keine strategische Priorität mehr. Zumal grosse Terroranschläge auf westliche Ziele à la 9/11 genauso gut in Syrien, im Jemen, im Sahel, in London, Paris oder, notabene, in New York ausgeheckt und vorbereitet werden können.

Demokratisierung kolossal gescheitert

Von «erfüllter Mission» kann hingegen keine Rede sein. Zwar wurde das ursprüngliche Hauptziel erreicht, nämlich al-Kaida aus dem Land und die radikalislamischen Taliban von der Macht zu vertreiben.

Das Bestreben, aus Afghanistan mit «Nation-Building» ein freiheitliches, demokratisches, stabiles, sicheres und zudem prosperierendes Land zu machen, ist jedoch hochkant gescheitert. Joe Biden sah dieses umfassende Ziel übrigens immer schon skeptisch.

Gewiss: Punktuelle Erfolge gibt es. Millionen von Frauen können inzwischen in Afghanistan wählen. Millionen von Mädchen gehen zur Schule. Vor allem in Städten gibt es mehr wirtschaftliche Perspektiven. Doch auch diese Fortschritte sind nicht in Stein gemeisselt.

Die Uhr lässt sich auch zurückdrehen. Am Hindukusch droht jetzt nämlich die Rückkehr der Taliban an die Macht. Und zwar über freie Wahlen.

Billionen-Kosten – kaum Gegenwert

Es ist also kein ruhmvoller Abgang der USA und der Nato. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag. Mehr als 2400 Todesopfer und 2.3 Billionen Dollar (also 2300 Milliarden) hat das Afghanistan-Engagement allein die Amerikaner gekostet. Kein Wunder, dass die Bevölkerung in den USA und in vielen Nato-Ländern den Sinn der Sache kaum mehr sieht und ein Ende fordert.

Nun zieht sich der Westen also zurück. Bedingungslos. Bisher wurden stets zwei Voraussetzungen dafür genannt: Die afghanischen Sicherheitskräfte müssten selber imstande sein, für Sicherheit und Stabilität zu sorgen, bevor man gehe. Und die Taliban müssten mit der demokratisch legitimierten afghanischen Regierung eine Friedens- und Kooperationsvereinbarung schliessen. Beide Bedingungen werden nun fallengelassen. Sang- und klanglos.

Das Ende der Afghanistan-Mission ist damit ein spätes und ein doppeltes Eingeständnis: Man war bisher nicht erfolgreich. Und man glaubt auch in Zukunft nicht an einen Erfolg. Selbst wenn die westlichen Truppen noch zwei, drei, vier oder noch mehr Jahre blieben. Es ist also das Eingeständnis des Scheiterns. Obschon der Rückzug natürlich anders verkauft wird.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

SRF 4 News, Heute Morgen vom 14.4.2021, 06.00 Uhr

Meistgelesene Artikel