Zum Inhalt springen

US-Ölpreis erstmals im Minus Die verschwundene Nachfrage führt zu Verzweiflung und Konkursen

Anfang Jahr war die Welt noch in Ordnung. Von den USA aus schien das neuartige Coronavirus eine chinesische Angelegenheit zu sein, die hiesige Wirtschaft lief bestens. Die Rohölsorte WTI (West Texas Intermediate) kostete rund 60 Dollar pro Barrel.

Dann legte das Virus die ganze Welt lahm, der Ölpreis brach ein und erreichte bis gestern Nachmittag historische Negativwerte, lag zeitweise bei minus 37 Dollar pro Barrel! Das erste Mal überhaupt bekam Geld, wer den Produzenten Öl abnahm. Im Moment wird ein Barrel WTI bei 1.50 Dollar gehandelt.

Milliarden von Menschen weltweit bleiben derzeit zu Hause, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Dadurch ist die Nachfrage weggebrochen. Und zwar in einem Tempo, in dem sich das Angebot nicht anpassen konnte.

Es wird immer weiter produziert

In den USA sind zudem Lagerkapazitäten sehr beschränkt. Seit Beginn der Krise haben sich Raffinerien, Lagereinrichtungen und sogar Erdöltanker rasant gefüllt. Man weiss fast nicht mehr wohin mit dem schwarzen Gold. Die Produktion lässt sich nicht immer einfach von heute auf morgen herunterfahren – vor allem beim in den USA weit verbreiteten Fracking-Verfahren.

Dazu kommt, dass sich die Ölförderländer lange nicht auf eine Drosselung ihrer Produktion einigen konnten. Auch auf Druck von US-Präsident Donald Trump wurde zwar eine Kürzung vereinbart, doch sie tritt erst im Mai in Kraft und geht zu wenig weit, um der gesunkenen Nachfrage Rechnung zu tragen. Am Dienstag läuft zudem der Mai-Terminkontrakt auf das US-Öl der Sorte WTI aus. Bei solchen Verträgen verpflichtet sich der Verkäufer, eine festgelegte Menge einer Ware zu einem festen Preis und Termin zu liefern.

Boom- und Flaute-Phasen gehören seit jeher zur Ölindustrie. In den letzten Jahrzehnten kam es immer wieder zu massiven Preisschwankungen. Das letzte Mal vor vier Jahren, als ein Barrel WTI für 26 Dollar gehandelt wurde. Wie damals kommt es auch jetzt zu Konkursen. Verschuldete Konzerne und solche mit kleinem finanziellen Polster werden diese Krise nicht überleben, hunderttausende Arbeiter werden freigestellt werden.

Wer sich zuerst bewegt, verliert

Die Hauptfrage ist aber, wie der weitgehend unregulierte US-Ölmarkt die Überproduktion eindämmen kann. Im Vergleich zu Russland, Saudi-Arabien oder Venezuela mit ihren staatlichen Ölkonzernen sei das in den USA fast nicht zentral zu steuern, sagt der Erdöl-Experte Michael Webber von der Universität Texas. Allein im Westen des Ölstaates Texas gebe es 1000 Ölproduzenten. Das Problem sei, das niemand den ersten Schritt machen und die Produktion drosseln wolle.

Ein bisschen wie Mikado: Wer sich zuerst bewegt, verliert. Trotzdem sagt Webber, werde es jetzt ganz sicher zu Produktionseinstellungen kommen. In den letzten Wochen hörte man aus der Branche sogar gelegentlich den Ruf nach Regulierung. Verschiedene Firmen forderten, geordnet und gemeinsam die Produktion zurückzufahren und den Verlust zusammen zu schultern.

Bedenkt man, wie verhasst Regulierungen in der amerikanischen Ölindustrie sind, zeigt das, wie aussergewöhnlich die Zeiten auch für diese Branche sind. Und wie gross die Verzweiflung schon geworden ist. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass sich der Ölpreis wohl erst wieder richtig erholt, wenn die Corona-Krise ihren Tiefpunkt überschritten hat. Dass dieser Zeitpunkt kommt, ist wohl unbestritten. Fraglich ist, wie lange das dauert und auf welchem Niveau sich die Nachfrage einpendelt.

Peter Düggeli

USA-Korrespondent, SRF

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

SRF-Korrespondent Peter Düggeli arbeitet seit Sommer 2015 in Washington. Er ist seit 2010 bei SRF. Düggeli studierte an der Universität Freiburg Geschichte und Englisch und schloss sein Studium 1999 mit einem Lizenziat ab.

Heute Morgen, 21.4.2020, 6.35 Uhr

Meistgelesene Artikel