Nach dem Mord am rechtskonservativen Aktivisten Charlie Kirk wird es zunehmend enger für regierungskritische Stimmen in den USA. Das Land bewege sich mit hohem Tempo auf eine Autokratie zu, erklärt der deutsche Historiker Thomas Zimmer. Bis vor Kurzem an der Georgetown Universität in Washington tätig, ist er nun zurückgekehrt – auch wegen Anfeindungen gegen seine Person.
SRF News: Wie steht es aus Ihrer persönlichen Erfahrung um die Meinungsfreiheit in den USA?
Thomas Zimmer: Es ist der aggressivste Angriff auf die Meinungsfreiheit in den USA seit Jahrzehnten. Das habe ich selber zu spüren bekommen. Bereits im Frühjahr hatte die Trump-Regierung verkündet, dass Meinungsfreiheit für Ausländer nicht mehr gelten soll. Ausländer, die Unruhe verbreiten – wie es Aussenminister Marco Rubio ausdrückte – seien nicht mehr von der Verfassung geschützt. Die Reaktionen der Regierung auf den Mord an Kirk verdeutlichen das nochmals. Von einer robusten Meinungsfreiheit kann in den USA schon länger nicht mehr die Rede sein.
Was heisst Meinungsfreiheit im Kontext der USA?
Wir müssen beim «Free Speech» als unveräusserliches Grundrecht der USA wohl Mythos und Realität voneinander trennen. In der amerikanischen Geschichte besassen schon immer nur bestimmte Gruppen – vor allem weisse christliche Männer – tatsächlich Meinungsfreiheit. Alle anderen mussten darum kämpfen. Mit den Trumpisten ist jetzt eine Bewegung an der Macht, die das Schlagwort «Free Speech» zwar für sich in Anspruch nimmt, aber damit nur die eigene Freiheit meint.
Der eskalierende Angriff auf die Meinungsfreiheit ist in den USA sehr unbeliebt.
Die USA bewegen sich mit hohem Tempo weg von der Demokratie hin zur Autokratie. Irgendwelchen Vorstellungen, so schlimm könne es mit den USA nicht kommen, darf man sich nicht hingeben.
Wie steht die Bevölkerung zu dieser Entwicklung?
Der eskalierende Angriff auf die Meinungsfreiheit ist in den USA sehr unbeliebt. Das zeigen die Reaktionen auf die Absetzung von Jimmy Kimmels Late Night Show auf dem Sender ABC, und Umfragen bestätigen das. Insofern bleibt die Hoffnung, dass die ablehnende Haltung der Bevölkerung Druck auf die Trump-Regierung entfaltet. Auch einige republikanische Senatoren haben sich vom Druck auf ABC distanziert.
Es gibt mehr Proteste in den USA als gemeinhin wahrgenommen wird.
Die wichtigste Frage ist jetzt, ob der Druck noch ankommt oder ob sich Personen wie Vizepräsident JD Vance oder der stellvertretende Stabschef des Weissen Hauses, Steven Miller, durchsetzen. Diese gehen nicht davon aus, dass die politische Auseinandersetzung noch in demokratischen Bahnen weitergeht. Sie wollen harte autokratische Strukturen, Umfragewerte sind ihnen egal.
Warum gibt es keine grossen Protestbewegungen?
Es gibt mehr Proteste in den USA als gemeinhin wahrgenommen wird. Es gibt mehr Proteste als während der ersten Trump-Administration. Mehr Sorge bereitet mir allerdings die Ebene der zivilgesellschaftlichen Institutionen, vor allem das Verhalten von Medienunternehmen und Universitäten. Sie verfügen über ziemlich grosse eigene finanzielle Ressourcen und könnten dagegenhalten. Doch es herrscht eher eine Art vorauseilenden Gehorsams, anstatt sich dem Trump-Diktat entgegenzustellen. Da sehe ich eher das Problem und nicht so sehr in der Frage, warum die Menschen angeblich nicht genug auf die Strasse gehen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.