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USA reagieren auf Coronavirus Die Europäer als neue Sündenböcke

Steif liest Trump die Worte vom Teleprompter ab: «Wir bieten die volle Macht der nationalen Regierung und des Privatsektors auf, um das amerikanische Volk zu schützen». Die Tonalität ist anders als bei seinen bisherigen Auftritten in dieser Sache.

Zum ersten Mal seit Ausbruch des Virus vermittelt er den Eindruck, dass er den Ernst der Lage erkennt, nachdem er die Gefahren lange Zeit verharmlost hat.

Doch wie so oft sucht Trump die Schuldigen primär im Ausland. Zuerst war es China, jetzt ist es Europa. Reisende aus Europa seien verantwortlich dafür, dass sich das Virus jetzt auch in verschiedenen Regionen der USA ausbreite. Eine Verzerrung der Realität.

Das Virus hat sich aus verschiedensten Richtungen in den USA festgesetzt. Und trotz mehrwöchiger Vorwarnzeit sind die USA nicht im Ansatz gewappnet. Wegen Pannen und unnötiger Bürokratie fehlt es beispielsweise überall an Diagnostiktests. Wie stark sich das Virus tatsächlich in den USA verbreitet hat, weiss deshalb niemand. Das erschwert die Bekämpfung massiv.

Fallzahlen steigen rapide

Durchaus möglich, dass eine stark reduzierte Einreise aus Europa die Ausbreitung etwas verlangsamen kann. Doch das Virus ist längst in den USA angekommen. Vor allem in den Bundesstaaten Washington, Kalifornien und New York steigen die Fallzahlen rapide.

Auf das US-Gesundheitssystem kommen gigantische Probleme zu. Wie Trump diese lösen will, dazu schweigt er auch am Mittwochabend weitgehend. Kein Land sei besser vorbereitet als die USA, sagt er. Dabei warnen Experten schon lange: Die US-Spitäler haben kaum Kapazitäten, um die zu erwartenden Patienten zu behandeln. Betten, Beatmungsgeräte und Personal könnten bald knapp werden. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis das Gesundheitssystem in Teilen der USA ähnlich überlastet ist wie jenes in Norditalien.

27 Millionen ohne Gesundheitsversicherung

Rund 27 Millionen Menschen in den USA haben keine Gesundheitsversicherung. Und Millionen undokumentierter Ausländer scheuen aus Angst vor der Ausweisung jede Art von Behördenkontakt, vermeiden deshalb oft auch Arzt- und Spitalbesuche. Wie sollen diese Menschen reagieren, wenn sie erkranken? Auf diese Fragen liefert der Präsident bisher keine Antworten.

Immerhin scheint er nun aber die Führungsrolle übernehmen zu wollen, nachdem sich Bürgermeister und Gouverneure bitter über die zögerliche Unterstützung aus Washington beklagt hatten. Mit verschiedenen Massnahmen will er einen Einbruch der Wirtschaft verhindern. Nach langem Zaudern geht Trump das Coronavirus endlich proaktiv an. Doch entscheidende Fragen lässt er weiterhin offen.

Thomas von Grünigen

USA-Korrespondent, SRF

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Thomas von Grünigen ist seit Januar 2015 SRF-Korrespondent in New York. Zuvor arbeitete er in der «Rundschau»-Redaktion von SRF. Seine ersten Schritte im Journalismus machte er beim US-Sender ABC News und beim Lokalsender TeleBärn. Er hat an den Universitäten Freiburg und Bern sowie an der American University in Washington DC Medienwissenschaft, Journalistik und Anglistik studiert.

«HeuteMorgen» 11.03.2020, 06:00 Uhr

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