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Verhaftungswelle in der Türkei «Es ist schon ein grosser Unmut über die Regierung zu spüren»

Echo der Zeit, 13.09.2025, 18:00 Uhr

In der Türkei sind am Samstag zahlreiche Personen festgenommen worden. Die meisten von ihnen gehören der CHP an, der stärksten Oppositionspartei des Landes. Unter ihnen ist mit Hassan Mutlu auch ein Bürgermeister eines Istanbuler Stadtteils. Ihm und den anderen Verhafteten wird Korruption vorgeworfen. Laut dem Staatssender TRT hat die Staatsanwaltschaft an mehr als 70 Orten Durchsuchungen durchgeführt.

Die ARD-Korrespondentin Filiz Kükrekol in Istanbul erklärt, was von den Korruptionsvorwürfen gegen die Verhafteten zu halten ist.

Filiz Kükrekol

ARD-Korrespondentin in Istanbul

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SRF News: Was ist von den Korruptionsvorwürfen zu halten?

Filiz Kükrekol: Anwälte und Beobachter weisen die Vorwürfe von sich. Sie sagen, es lägen oft nicht mal Anklageschriften vor, sodass man nicht genau wisse, was jetzt genau der Vorwurf sein soll. Im Allgemeinen empfindet die Opposition die Korruptionsvorwürfe gegen die CHP als einen Versuch des Staates, den Einfluss der CHP zurückzudrängen. Das kritisiert die Oppositionspartei.

Was ist der Hintergrund von diesen Verhaftungswellen?

Beobachter in der Türkei gehen davon aus, dass es darum geht, die Oppositionspartei CHP zu schwächen. Im vergangenen Jahr gab es Kommunalwahlen in der Türkei: Diese hat die CHP erstmals wieder gewonnen, sie lag also vor der Regierungspartei AKP von Recep Tayyip Erdoğan.

Özgür Özel hat sehr schnell schwimmen gelernt und ist beliebt bei der Bevölkerung.

Zudem hatte die CHP vor den Kommunalwahlen ihre Führungsspitze neu aufgestellt. Und die neuen Gesichter ziehen offenbar bei der Wählerschaft. Es war klar, dass der Istanbuler Oberbürgermeister İmamoğlu, der nicht nur bei den Bürgerinnen und Bürgern in Istanbul sehr beliebt ist, CHP-Präsidentschaftskandidat werden sollte und damit mutmasslich Herausforderer von Staats- und Regierungschef Erdogan. Und kurz vor diesem Nominierungsparteitag wurde İmamoğlu verhaftet.

In diese Lücke ist der Parteichef der CHP, Özgür Özel, geradezu hineingeworfen worden – ins kalte Wasser sozusagen. Er hat aber sehr schnell schwimmen gelernt und ist jetzt nicht minder beliebt bei der Bevölkerung. Bei einer möglichen Wahl könnte auch Özgür Özel eine Gefahr für Erdogan darstellen.

Welches Kalkül steckt hinter der Anklage wegen Verfahrensfehler?

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Filiz Kükrekol: Beim Parteitag vor zwei Jahren wurde der langjährige Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu abgewählt. Kılıçdaroğlu hatte sich an die Macht geklammert und das sehr erfolglos. Er hatte mehrfach gegen Erdogan verloren. Kılıçdaroğlu hat auch nicht mehr viele Anhänger in der CHP. Und das Kalkül scheint mir zu sein: Wenn Özel des Amtes enthoben werden sollte, dürfte Kılıçdaroğlu wieder eingesetzt werden. Das würde die Chancen der CHP deutlich minimieren, Erdogan bei der nächsten Wahl zu schlagen.

Wie hat die Bevölkerung auf die jüngsten Verhaftungen reagiert?

Mit Empörung. Die Proteste im Land, die waren kurz nach der Festnahme von İmamoğlu riesig. Das ist nun nicht mehr der Fall. Aber man sieht auch immer öfter Kritik von islamisch konservativen Bürgerinnen und Bürgern, die sich über die Festnahmen, die Verhaftungen, die Vorgänge einfach beschweren. Sie sprechen sogar von Willkür und zeigen sich sehr enttäuscht gegenüber der gegenwärtigen Regierung. Hinzu kommt die hohe Inflation. Die wirtschaftliche Lage der Menschen hat sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert. In der Türkei ist schon ein sehr grosser Unmut über die Regierung zu spüren.

Das Gespräch führte Matthias Kündig.

Echo der Zeit, 13.09.2025, 18:00 Uhr ; 

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