Im Gaza-Krieg ist eine Waffenruhe in Kraft. Die israelischen Truppen haben sich nach Angaben der Armee zu den vereinbarten Demarkationslinien zurückgezogen. Im Rahmen der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas sollen nun alle von den Islamisten verschleppten Geiseln freigelassen werden – was bald geschehen könnte.
Unbeantwortet bleibt die Grundsatzfrage: Ist das der Beginn eines langfristigen Friedensprozesses in Nahost? Die deutsche Friedensforscherin Hanna Pfeifer steht uns Red und Antwort.
SRF News: Wird der Waffenstillstand stabil und von Dauer sein?
Hannah Pfeifer: Es sieht im Moment zumindest so aus, als würde Phase eins des sogenannten Friedensplans wie geplant verlaufen. Doch wir sehen, dass der Waffenstillstand keinesfalls vollständig ist. Es trafen am Sonntag Meldungen ein, dass am Samstag weitere 33 Palästinenserinnen und Palästinenser in Gaza durch israelische Kampfhandlungen ums Leben gekommen sind. Trotzdem muss man sagen: Es tut sich etwas. Nach zwei Jahren unfassbarer Gewalt gibt es aktuell zumindest Hoffnung, dass sich etwas bewegt.
Was macht Sie denn so hoffnungsvoll an diesem Prozess?
Dass die Massengewalt gegen Zivilpersonen in Gaza in dem Ausmass zumindest unterbrochen ist und dass sich überhaupt etwas tut in Richtung Verhandlungen. Über die letzten zwei Jahre sind solche Versuche immer wieder gescheitert. Insbesondere Israel hat mehrfach bestehende Waffenruhen gebrochen. Es war schwer, die Regierung unter Netanjahu an den Verhandlungstisch zu bringen. Jetzt kommt zumindest Bewegung in die Sache.
Ein zentrales Element ist, dass wir endlich zu wirklicher palästinensischer Selbstbestimmung kommen.
Hat dieser Plan aus wissenschaftlicher Sicht gute Chancen?
Das kann man noch nicht sagen. Denn wenn man zu einem nachhaltigen Frieden kommen will, muss an den Ursachen für die derzeitige Eskalation gearbeitet werden, also an den unterschiedlichen Formen struktureller Gewalt. Wenn man dauerhaft zu einem Frieden kommen will, dann bedarf es einer Beendigung der Blockade von Gaza. Es bedarf aber auch einer Beendigung der illegalen Besatzung im Westjordanland. Dort ist die Gewalt gegen Zivilpersonen durch das Militär und Siedler massiv angestiegen. Das Gebiet ist inzwischen ganz zersiedelt und es gibt keinen realistischen Plan, wie die israelische illegale Besatzung dort aufzuheben wäre.
Der derzeitige Plan beruht auf Fremdbestimmung.
Auch ein zentrales Element ist, dass wir endlich zu wirklicher palästinensischer Selbstbestimmung kommen. Und eine weitere Frage ist: wie weiter mit der Hamas? Israel würde gerne durchsetzen, dass die Hamas keinerlei Rolle, auch keine politische, mehr spielt. Das scheint mir aber unrealistisch. Die Hamas wird auch nach dem israelischen Teilrückzug in Gaza über Territorien Kontrolle ausüben und sie hat auch Rückhalt in Teilen der Bevölkerung. Das bedeutet, es ist nicht nur eine militärische, sondern auch eine politische Kraft in Palästina. Die Frage ist, wie kann dieser Akteur eingebunden werden? Und schliesslich – das scheint mir auch noch wichtig – beruht der derzeitige Plan auf Fremdbestimmung, nämlich durch ein ziviles Übergangskomitee, das zwar durch technokratische Palästinenser besetzt werden soll, aber unter der Beaufsichtigung von Donald Trump und Tony Blair. Und es soll eine internationale Stabilisierungstruppe geben, die die Hamas entwaffnen und gegebenenfalls gegen sie kämpfen soll. Wie passt dieser Plan der Fremdbestimmung in eine langfristige palästinensische Selbstbestimmung? Viele Teile des Friedensplans sind noch nicht ausgehandelt und gehen die strukturellen Probleme nicht an.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.