Zum Inhalt springen
Audio
Mirjana Spoljaric: Kann das IKRK noch helfen?
Aus Samstagsrundschau vom 18.11.2023. Bild: Reuters/MOHAMMED SALEM
abspielen. Laufzeit 29 Minuten 46 Sekunden.

Verletzung des Völkerrechts «Ich war noch nie so besorgt über den Zustand der Welt»

Die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Mirjana Spoljaric Egger, kritisiert die Kriegsparteien im Gaza-Krieg zwar nicht direkt. Aber sie zeigt sich in der Samstagsrundschau von SRF äusserst besorgt über die dramatische Situation im Gazastreifen.

Mirjana Spoljaric Egger

Mirjana Spoljaric Egger

Präsidentin Internationales Komitee vom Roten Kreuz

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Die frühere Schweizer Spitzendiplomatin und UNO-Cheffunktionärin Mirjana Spoljaric Egger hat am 1. Oktober 2022 als erste Frau das Präsidium des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) übernommen. Sie studierte Philosophie, Wirtschaft und Völkerrecht an den Universitäten Basel und Genf. Ab 2004 unterrichtete sie für zwei Jahre an der Universität Luzern zum Thema Global Governance.

SRF News: Sie schildern die Situation im Gazastreifen als äusserst dramatisch. Mit Blick auf das Leiden der Kinder sprechen Sie von einem «moralischen Scheitern».

Mirjana Spoljaric Egger: Kinder sind geschützt unter dem humanitären Völkerrecht. Es gibt nie einen Grund, warum ein Kind in einer bewaffneten Auseinandersetzung so leiden muss, denn Kinder sind immer unbeteiligt am bewaffneten Konflikt.

Eine Palästinenserin umarmt ein Kind nach israelischen Angriffen in einem Krankenhaus in Khan Younis.
Legende: «Kinder sind geschützt unter dem humanitären Völkerrecht», sagt Mirjana Spoljaric Egger. Reuters/Mohammed Salem

Wie sieht es mit der Arbeit des IKRK im Gazastreifen aus?

Was wir in einem bewaffneten Konflikt brauchen, sind Zugang und Ressourcen. Zugang ist in Situationen wie in Gaza vor allem mit Sicherheitsgarantien verbunden. Aber wir sind schon öfter ins Feuer geraten. Wir sind nicht kugelsicher. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Helden, aber sie sind keine Übermenschen.

Bei der Hamas scheint offensichtlich, dass sie das humanitäre Völkerrecht nicht einhält. Wie sieht es bei Israel aus?

Wir machen keine öffentliche Zuordnung. Aber Sie sehen, was passiert. Sie sehen die hohen Opferzahlen, die Geiselnahmen und die Zerstörung der zivilen Infrastruktur.

Wenn wir davon ausgehen müssen, dass beide Seiten das humanitäre Völkerrecht massiv verletzten, was heisst das für die Bedeutung des humanitären Völkerrechts?

Mir wurde auf meinen Reisen in verschiedene Krisenregionen klar, dass die Nichtbeachtung des humanitären Völkerrechts mit massiven Kosten verbunden ist. Das menschliche Leid und die Zerstörungen brauchen Jahrzehnte und kosten Milliarden, um rückgängig gemacht zu werden.

Alle diese Konflikte lassen sich nicht durch rein militärische Mittel lösen.
Autor:

Die grösste Gefahr in dieser Polarisierung ist die Tendenz, dass man das Leiden der anderen nicht mehr akzeptiert oder nicht mehr als gleichwertig anerkennt. Wenn das passiert, akzeptiert man auch die Entmenschlichung eines Teils der Bevölkerung. Verhindert werden kann das durch das humanitäre Völkerrecht.

Beobachten Sie das im Gaza-Krieg?

Ich sage nicht, dass wir das hier beobachten. Aber wir müssen zu jeder Zeit zum Dialog zurückkehren können. Alle diese Konflikte lassen sich nicht durch rein militärische Mittel lösen. Das heisst, der Kommunikationskanal muss immer offenbleiben. Das humanitäre Völkerrecht und eine Organisation mit dem Mandat des IKRK bieten diesen Kanal.

Heisst das auch, dass die Aussage Israels «wir werden die Hamas zerstören» nicht funktioniert?

Es hat noch nie funktioniert, dass man eine Gruppe oder ein Volk zerstören und sagen konnte, das sei nun notwendig gewesen. Und es ist genau diese Erfahrung, «der Sieg um jeden Preis», die zur Gründung der Genfer Konventionen führte. Diese stellen den stärksten universellen Konsens dar. Jeder Staat bekennt sich zu diesem Minimum an Menschlichkeit.

Sie sind seit einem Jahr im Amt. Wie geht es Ihnen bei all diesen Krisen?

Ich bin in meinem Leben noch nie so besorgt gewesen über den Zustand der Welt. Ich denke, wir sind an einem Scheideweg, an welchem wir entweder zurückkehren zum Primat des Politischen und akzeptieren, dass nur über Verhandlungen Friedenslösungen gefunden werden können. Oder wir schauen weiterhin zu, wie massive Zerstörungen und massives Leid stattfinden.

Das Gespräch führte Oliver Washington.

Audio
Aus dem Archiv: Martin Schüepp: IKRK unter Beschuss in Gaza
aus Tagesgespräch vom 08.11.2023. Bild: zvg
abspielen. Laufzeit 24 Minuten 49 Sekunden.

Samstagsrundschau, 18.11.2023, 11:30 Uhr ; 

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel