Sie begannen bereits kurz nach Kriegsbeginn: Die Warnungen internationaler Organisationen vor einer humanitären Krise im umkämpften Gazastreifen. Die weltweite öffentliche Wahrnehmung des Leides und der Not der palästinensischen Zivilbevölkerung gipfelte schliesslich im Juni dieses Jahres in Bildern unterernährter Kinder und unter israelisches Feuer geratener Menschen bei Nahrungsausgabestellen in Gaza.
Monatelang haben Hilfsorganisationen vor dieser Hungersnot im Gazastreifen gewarnt. Nun ist das Szenario eingetreten. Die IPC-Initiative hat für die Stadt Gaza und einige Nachbarorte offiziell eine Hungersnot erklärt.
Betroffen sind rund 20 Prozent des Palästinensergebiets, in dem vor dem Krieg rund 750'000 Menschen lebten.
Tausende Kinder sind unterernährt
Nach Angaben der IPC-Initiative ist das Leben von 132'000 Kindern unter fünf Jahren wegen Unterernährung bedroht. 41'000 von ihnen gelten als besonders gefährdet, doppelt so viele wie noch im Mai. «Mehr als eine halbe Million Menschen im Gazastreifen sind mit katastrophalen Bedingungen konfrontiert, die durch Hunger, Armut und Tod gekennzeichnet sind», heisst es im IPC-Bericht.
Weitere 70 Prozent der gut zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens können ihren Lebensmittelbedarf nicht mehr decken. Im Bezirk Nordgaza ist die Lage womöglich noch schlimmer, kann aber mangels Zugangs nicht genau eingeschätzt werden. Die Hungersnot könnte sich bis Ende September auf weitere Gebiete ausweiten.
Netanjahu nennt IPC-Bericht eine «glatte Lüge»
Die UNO machen Israel für die Hungersnot verantwortlich. «Wegen systematischer Behinderungen durch Israel stapeln sich Lebensmittel an den Grenzen.» Israel weist die Vorwürfe zurück und wirft der UNO vor, bereitstehende Hilfslieferungen nicht zu verteilen. Israels Aussenministerium behauptet zudem, die Einschätzung der IPC-Initiative basiere auf falschen Angaben der Hamas. Die für Palästinenserangelegenheiten zuständige israelische Behörde Cogat erklärte, der Bericht ignoriere bewusst Daten, die den Autoren vor der Veröffentlichung vorgelegt wurden.
Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu bezeichnete den UNO-Bericht als «glatte Lüge». Israel verfolge keine Politik des Aushungerns, sondern der Hungerprävention. Israel habe seit Beginn des Krieges die Lieferung von zwei Millionen Tonnen Hilfsgütern in den Gazastreifen ermöglicht.
Die palästinensische Autonomiebehörde ruft die internationale Gemeinschaft angesichts der Hungersnot zum Handeln auf. Sie fordert alle Länder, insbesondere den UNO-Sicherheitsrat, auf, den Druck auf Israel zu erhöhen.
Hoffnung auf Waffenstillstand
Hilfsorganisationen wie Fao, Unicef, WFP und WHO fordern einen sofortigen Waffenstillstand und ungehinderten humanitären Zugang, um die Hungersnot zu bekämpfen und weitere Todesfälle zu verhindern. Sie betonen die Notwendigkeit, grosse Mengen an Nahrungsmitteln, Medikamenten und anderen Hilfsgütern in den Gazastreifen zu bringen und die Verteilung sicherzustellen.
Die Wiederherstellung der Gesundheitsversorgung, der sanitären Einrichtungen und der lokalen Nahrungsmittelproduktion sei ebenfalls entscheidend.