Zum Inhalt springen

Vorreiterrolle in Afrika Südafrika will geschlechtsneutrale ID einführen

Die Regierung hat einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der zu einer geschlechtsneutralen Identitätskarte führen wird.

Siyabonga Ncgobo ist es sich gewohnt, angestarrt werden. Egal, ob er im blassrosa Jogginganzug mit passender Sonnenbrille einen Kaffee trinkt oder im öffentlichen Raum in einem durchsichtigen Kleid mit knapper Glitzerhose einen Tanz zu einem Song übt – er fällt auf.

In Südafrika müssen alle, die entweder biologische Frauen sind oder wie Frauen aussehen, mit einem Angriff rechnen, sobald sie ihre vier Wände verlassen.

«Ich fühlte mich schon als Junge dem Femininen hinzugezogen», erklärt der 34-Jährige, der sich als Musiker einen Namen über Südafrika hinaus gemacht hat. Da er in einer fortschrittlichen Familie am Rande von Johannesburg aufwuchs, konnte er seine Neigungen ausleben, ohne deswegen von den eigenen Familienmitgliedern geächtet zu werden.

Mann mit Sonnenbrille.
Legende: Siyabonga Ncgobo kämpft für die Rechte der LGBT-Gemeinde in Südafrika. SRF/Christina Karrer

Ncgobo bezeichnet sich als schwul, doch was das Geschlecht anbelangt, will er sich nicht festlegen. Geschlecht sei eine von der Gesellschaft geschaffene Kategorie, es sei doch egal, was man zwischen den Beinen habe. Er bezeichnet sich, wenn überhaupt als etwas, als non-binär oder transgender. Mittlerweile hat er sich damit abgefunden, aufzufallen. Es ist Teil seiner Realität.

Fortschrittliche Verfassung

Dass Menschen wie er durch eine der fortschrittlichsten Verfassungen der Welt rechtlich geschützt sind, war ihm früh bewusst. «Ich war schon immer stolz auf unsere Verfassung, die wirklich die Rechte aller schützt. 1996 war das noch überhaupt nicht selbstverständlich, in Afrika eh nicht, und in vielen Ländern wird die LGTB-Gemeinschaft bis heute verfolgt und in die Illegalität getrieben.»

«Jeden Monat werden durchschnittlich zehn Personen ermordet»

Box aufklappen Box zuklappen

SRF: Wie konnten Sie die Regierung von einer geschlechtsneutralen ID überzeugen?

Sibusiso Kheswa, Iranti (NGO für LGTBQ-Rechte): Wir luden einige Regierungsbeamte nach Malta ein, wo die geschlechtsdefinierende Zahl in der ID durch ein X ersetzt worden ist. Das hat die Beamten beeindruckt – und es hat etwas genützt.

Nun ist die Verfassung zwar extrem fortschrittlich, die Bevölkerung aber nach wie vor traditionell – wie lässt sich das vereinbaren?

Die Werte in der Verfassung sind sozusagen das Ziel, das wir als Gesellschaft anstreben sollen, doch ja, zwischen dem Ziel und der Realität besteht immer noch ein riesiges Gefälle.

Obwohl die Rechte der LTGB-Gemeinde in der Verfassung verankert sind, werden immer noch viele umgebracht, und die Täter kommen oft ungeschoren davon.

Ja, das ist in der Tat sehr beunruhigend. Jeden Monat werden durchschnittlich zehn Personen ermordet, die einen werden erstochen, die andern brutal verstümmelt. Die Polizei wirkt oft nicht wirklich interessiert, das Verbrechen aufzuklären.

Was könnte man dagegen tun?

Wir fordern ein eigenes Gesetz gegen Hassverbrechen. Es liegt seit einiger Zeit im Parlament, doch ist es nicht verabschiedet worden. Wir machen regelmässig Druck auf das Justizministerium. Der Erfolg mit der ID hat uns bestärkt, den Kampf nicht aufzugeben. Doch ist es noch ein weiter Weg.

Dass nun die Identitätskarte, für die meisten Menschen das wichtigste Dokument überhaupt, geschlechtsneutral werden soll, empfindet er als Meilenstein. Wie oft sei er mit langen Haaren und Make-up in eine Polizeikontrolle geraten und habe sich den oft aggressiven Polizisten erklären müssen. «Im Alltag nützt mir die Verfassung oft gar nichts», meint er lakonisch.

Attribute des ‹richtigen› Mannes

«In Südafrika müssen alle, die entweder biologische Frauen sind oder wie Frauen aussehen, mit einem Angriff rechnen, sobald sie ihre vier Wände verlassen.» Menschen wie er würden zudem mit dem Ausleben ihrer weiblichen Seiten das Mann-Sein infrage stellen. «Das vertragen viele Männer nicht. Die Attribute eines sogenannten ‹richtigen› Mannes sind in unserer Gesellschaft immer noch enorm wichtig, vor allem in der afrikanischen Kultur und vor allem in den ländlichen Gebieten.»

Person am schminken.
Legende: «Ich fühlte mich schon als Junge dem Femininen hinzugezogen», so Siyabonga Ncgobo. SRF/Christina Karrer

Er/sie ist dennoch optimistisch. Als er/sie seine Karriere als Musiker*in begann, trat er/sie vor allem innerhalb der LGTB-Gemeinde auf. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. «In Südafrika ist LGTB noch lange nicht Mainstream, doch die Frage nach ihrem Geschlecht stellen sich hier immer mehr Leute, vor allem die junge Generation, und das kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.»

Tag gegen Homophobie

Box aufklappen Box zuklappen

Der heutige internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie geht auf den 17. Mai 1990 zurück: Damals beschloss die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten zu streichen.

Tagesschau, 17.5.2021, 19:30 Uhr

Meistgelesene Artikel