«Lieber A.G.», schreibt die Journalistin Bari Weiss in ihrem Brief an den Herausgeber der «New York Times» (NYT), Arthur Gregg Sulzberger. «Leider muss ich dir mitteilen, dass ich die ‹New York Times› verlasse.»
Sie sei von Kolleginnen und Kollegen intellektuell gemobbt worden. Sie hätten sie auf Twitter als Lügnerin und Opportunistin angegriffen.
Bei der NYT herrsche generell ein Klima der Intoleranz, so Weiss weiter. Wer es wage vom linken Standpunkt abzuweichen, werde angegriffen. Die Folge sei Selbstzensur in den Redaktionsräumen.
Redaktionsleiter entlassen
Es sind happige Vorwürfe, welche die 36-jährige Kolumnistin vorbringt. Herausgeber Sulzberger lässt sie unbeantwortet. Sie folgen gut einen Monat auf die Entlassung des Redaktionsleiters der Meinungsspalte, James Bennet.
Bennet musste gehen, weil er einen umstrittenen Kommentar im Zuge der George-Floyd-Proteste publiziert hatte, der aus der Feder eines republikanischen Senators stammte. «Holt die Truppen», lautete der militaristische Titel des Kommentars.
Kritik von allen Seiten
Das führte nicht nur zu heftiger Leserkritik. Auch Hunderte Angestellte der NYT protestierten und planten einen Streik. Auf Twitter machte der Satz die Runde: Der Kommentar bedrohe das Leben von Afro-Amerikanern, auch in den Reihen der NYT. Die Chefredaktion entliess Bennet kurzerhand.
Es war ein Personalentscheid, aber er symbolisiert auch eine publizistische Kehrtwende: Denn Bennet hatte explizit den Auftrag, konservativeren Stimmen in der NYT eine Plattform zu bieten.
So holte er unter anderem Bari Weiss zum Blatt, die bekannt ist für ihre Kritik an linker Identitätspolitik und ihre stramm pro-israelische Gesinnung. Das linksliberale Blatt wollte 2016 nach der überraschenden Wahl von Donald Trump die eigene Echokammer durchlüften.
Andere Meinungen nicht mehr gefragt
Doch die Neugier auf politische Gegenmeinungen ist im Wahljahr 2020 nicht mehr angesagt. Die Echokammern schliessen sich wieder, nicht nur bei den NYT. Ähnliche Zerwürfnisse gab es beim «NY Magazine», dem «Intercept» oder dem «Philadelphia Enquirer».
Die George-Floyd-Proteste, respektive der Ruf nach «Law and Order» von rechts, heizen die Gemüter in den linken Reihen zusätzlich an. Die Black-Lives-Matter-Debatte hat Redaktionsstuben erreicht, wo bis anhin grösstenteils weisse Männer das Sagen hatten.
Selbstherrliche Rechtskonservative
Natürlich schlürfen Rechtskonservative jeden Konflikt genüsslich auf, der an die Öffentlichkeit dringt. Vor allem sie schreiben und sprechen über eine grassierende linke Intoleranz oder die sogenannte Cancel Culture: das Ausradieren von abweichenden Meinungen und Meinungsträgern.
Die rechten Medien profitieren davon, dass man von ihnen nichts anderes als Orthodoxie erwartet, während die linksliberalen wie die «New York Times» am selbstpropagierten Standard der Meinungsvielfalt rütteln.