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Waffenhilfe für die Ukraine Alice Schwarzer: «In diesem Poker geht es um die ganze Welt»

Sofortige Friedensverhandlungen. Keine neuen Waffenlieferungen. Über 600'000 Personen in Deutschland haben das «Manifest für den Frieden» mit diesen Forderungen unterzeichnet. Initiiert von Deutschlands einflussreichsten Feministin Alice Schwarzer, Publizistin, Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift «Emma» und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht.

Alice Schwarzer

Feministin und Gründerin der Zeitschrift «Emma»

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Die bekannte Feministin Deutschlands, Alice Schwarzer, ist Publizistin, Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift "Emma". Die 80-Jährige kämpft seit der Frauenbewegung der 1970er Jahren für die Rechte von Frauen.

SRF News: Alice Schwarzer, ist es für Sie legitim, dass sich die Ukraine mit Waffen wehrt?

Alice Schwarzer: Absolut. Und ich könnte mir auch vorstellen, obwohl ich das sehr problematisch finde, dass ich zu denen gehören würde, die immer mehr Waffen wünschen. Ich finde es absolut legitim, wenn man mit Waffen angegriffen wird, sich auch mit Waffen zu wehren.

Inzwischen sagen weltweit wissenschaftliche und militärische Experten, dass man ganz kurz vor dem grossen Knall ist.

Sie sagen, das Manifest vertrete die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands. Wie meinen Sie das?

Das ist die Aussage aller aktueller Umfragen: Die jüngste von Forsa besagt, dass 56 Prozent gegen neue Waffenlieferungen sind und nur 31 dafür. Es geht nicht mehr um die Frage, hat man das Recht, sich zu wehren, diese hat sich am Anfang gestellt. Inzwischen haben wir ein Jahr Krieg, und wir sehen, die beiden Grossmächte sind in einer Pattsituation. Militärisch ist Gleichstand, es wird nur immer schlimmer. Darum geht es in unserem Manifest.

Alice Schwarzer steht neben Sarah Wagenknecht. Beide tragen einen schwarzen Wintermantel. Im Hintergrund der Rhein.
Legende: Sahra Wagenknecht (links) und Alice Schwarzer haben Bundeskanzler Scholz aufgefordert, im Ukraine-Krieg auf Verhandlungen statt auf Waffenlieferungen zu setzen. In einem gemeinsamen «Manifest für den Frieden» warnen die beiden Frauen vor einer «Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg». Keystone/ Rolf Vennenbernd

Sie fürchten bei neuen Waffenlieferungen einen Atomschlag?

Selbstverständlich fürchte ich einen Atomschlag. Inzwischen sagen weltweit wissenschaftliche und militärische Experten, dass man ganz kurz vor dem grossen Knall ist, noch kürzer als während der Kuba-Krise, und dass sogar ein Irrtum, ein Versehen genügen würde, den weltweiten Atomkrieg auszulösen.

Die Situation ist eine andere. Russland ist von China abhängig und China hat sich sehr dezidiert gegen den Einsatz von Atomwaffen ausgesprochen. Ein Bruch mit China könnte sich Russland nicht leisten.

Das hoffen wir. Das ist ein Poker. Aber dabei geht es nicht um 1000 Dollar, dabei geht es um die ganze Welt. Mein Verstand sagt mir, dass dieser drohende Preis zu hoch ist für alle Beteiligten.

Welche Kompromisse müsste die Ukraine eingehen?

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Nach Alice Schwarzer sollte die Ukraine als Kompromiss nicht der Nato beitreten. Der Westen müsse aber garantieren, die Ukraine zu schützen. «Der Donbass sollte schon seit der Minsker Verhandlungen 2014/15 einen Sonderstatus bekommen. Das ist aber nicht eingelöst worden. Das könnte jetzt eingelöst werden», sagt Schwarzer. Die Krim sei für Putin machtpolitisch unveräusserlich. «Da könnte man diplomatisch sagen, wir warten 15 Jahre und lassen dann die Bevölkerung der Krim selbst entscheiden, zu wem sie gehören wollen», sagt Schwarzer und fügt hinzu: «Ein internationales Bündnis sollte die Konfliktparteien an den Tisch bringen.»

Ein Argument für die Waffenlieferungen ist für Bundeskanzler Olaf Scholz, dass sich die Chancen für einen Frieden erhöhen, je eher Putin einsieht, dass er sein Ziel nicht erreicht …

Wir müssen uns fragen, was ist das Ziel des Krieges. Das ist ja ziemlich nebulös. Das realistische Ziel ist die Befreiung der Ukraine. Aber es scheint doch längst um etwas anderes zu gehen. Jetzt ist von der maximalen Schwächung Russlands die Rede.

Dieser Krieg ist ein verbrecherischer Krieg und muss mit allen Mitteln bekämpft werden.

Schauen wir auch das Ziel Russlands an: Dass Putin auch andere Staaten wie Belarus kontrollieren will, oder gar weitere Staaten angreifen könnte …

Eine Schlacht hat der Westen auf jeden Fall gewonnen. Die Schlacht der Publicity. Ich bin nicht allein mit der Ansicht, dass die Sicherheitsgarantien für Russland der Ausschlag für den Krieg sind. Russland wurde nach der Wiedervereinigung Deutschlands garantiert, dass die Nato nicht weiter an sie heranrückt. Das Gegenteil ist geschehen. Ich halte die Sicherheit Russlands für das Hauptmotiv Putins.

Sie glauben, dass sich Russland bedrängt gefühlt hat und das rechtfertigt einen solchen Angriffskrieg gegen die Ukraine?

Nein, das rechtfertigt überhaupt keinen Krieg. Das erklärt die Motive. Dieser Krieg ist ein verbrecherischer Krieg und muss – das haben wir ein ganzes Jahr lang getan – mit allen Mitteln bekämpft werden. Doch jetzt geht es um einen drohenden Atomkrieg und da muss man sich fragen, was kann man tun, um diesen abzuwenden? Wenn wir Russland in die Enge treiben, steigt die Gefahr für die ganze Welt.

Das Gespräch führte Karoline Arn.

Christoph Schuck: «Ein Appell macht keinen Frieden»

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Christoph Schuck ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik an der Technischen Universität Dortmund. Für ihn können die Forderungen des Manifests von Alice Schwarzer nicht funktionieren: «Befunde aus der Konflikt- und Friedensforschung zeigen, dass ein Friedensschluss nicht über Appelle zustande kommt. Sondern dann, wenn beide Kriegsparteien den Eindruck haben, dass sie durch einen Friedensschluss mehr gewinnen als durch die Fortsetzung der Kriegshandlungen.»

Putin hat von seinem ursprünglichen Ziel, die Ukraine zu erobern, nicht Abstand genommen. Auch die Ukraine will die besetzten Gebiete zurückerobern. Das heisst, dass im Moment keine Aussicht auf erfolgreiche Friedensverhandlungen besteht. «Im Augenblick muss es darum gehen, eine Konstellation zu schaffen, in der es für Putin klar wird, dass die Fortsetzung des Krieges teurer wird, als in Friedensverhandlungen einzutreten», so Schuck.

Deswegen macht auch die zweite Forderung des Manifestes von Alice Schwarzer für Christoph Schuck keinen Sinn. Keine Waffen zu liefern hätte gravierende Auswirkungen für die Ukraine: «Mittelfristig wäre die Ukraine nicht mehr in der Lage, sich zu verteidigen. Russland würde das ganze Land besetzen. Massivste Menschenrechtsverletzungen und grosse Flüchtlingsströme wären die Folgen. Die Bedrohungslage für die westlichen Staaten würde dadurch viel grösser.» Einen atomaren Schlag Russlands befürchtet Schuck keinen. Denn der Westen ist im Moment keine Kriegspartei und auch während des Kalten Krieges seien immer Waffen an verbündete Staaten geliefert worden.

Tagesgespräch, 22.02.2023, 13:00 Uhr ; 

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