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Waffenstillstand in Tigray «Man hat viel Misstrauen gespürt – und das mit gutem Grund»

Frieden ist in Äthiopien ein Stück näher gerückt: Nach zwei Jahren Bürgerkrieg haben die Kriegsparteien einen Waffenstillstand vereinbart. Über eine halbe Million Menschen wurden getötet, über zwei Millionen wurden vertrieben. SRF-Korrespondentin Anna Lemmenmeier erklärt die Umstände der Waffenruhe.

Anna Lemmenmeier

Auslandredaktorin

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Anna Lemmenmeier ist Auslandredaktorin zuständig für Mittelamerika, Mexiko und die Karibik. Von 2017-2024 war sie Afrika-Korrespondentin von Radio SRF und lebte in Nairobi. Davor war sie Mitglied der Wirtschaftsredaktion. Sie hat internationale Beziehungen, Geschichte und Völkerrecht an den Universitäten von Bern, Genf und Ghana studiert.

SRF News: Worauf haben sich die Parteien geeinigt?

Sie haben sich darauf geeinigt, sofort und permanent die Kampfhandlungen einzustellen. Es soll auch entwaffnet werden, und vor allem soll humanitäre Hilfe in die Krisenregion kommen. Das ist besonders wichtig, weil das war seit August nicht mehr möglich.

Strom, Telefon, Internet, Zugang zu den Banken etc., all das ist seit Beginn des Konflikts für die Menschen in der Region Tigray nicht mehr zugänglich.

Die Region Tigray mit rund sechs Millionen Menschen ist abgeschottet. Es kommen keine Nahrungsmittel und keine Medikamente in die Region. Deswegen sind Tausende Menschen vom Hunger bedroht.

Auch wichtig ist: Man hat sich darauf geeinigt, dass die Möglichkeiten zu Dienstleistungen und die Infrastruktur wiederhergestellt werden. Strom, Telefon, Internet, Zugang zu den Banken etc., all das ist seit Beginn des Konflikts für die Menschen in der Region Tigray nicht mehr zugänglich.

Einwohner gehen an einem Flüchtlingslager in der Region Tigray vorbei.
Legende: Einwohner gehen an einem Flüchtlingslager in der Region Tigray vorbei. REUTERS/Tiksa Negeri

Warum konnten sich die Kriegsparteien nun auf einen Waffenstillstand einigen?

Es war sicher viel internationaler Druck von der Afrikanischen Union da. Diese hat über Monate zu vermitteln versucht, wie auch die UNO und die Amerikaner. Dazu kommt, dass beide Seiten in den letzten zwei Jahren grosse Verluste erlitten haben. Wahrscheinlich sind mehr als eine halbe Million Menschen in diesem Konflikt umgekommen.

Und die äthiopische Wirtschaft leidet. Für die Volksbefreiungsfront von Tigray war es wichtig, dass die erwähnte Vereinbarung «Restauration of Services» sowie der Zugang zur humanitären Hilfe in der Einigung enthalten war. Für die äthiopische Regierung war das Entwaffnen wichtig. Man scheint sich irgendwie auf dem kleinsten Nenner gefunden zu haben.

Kann man davon ausgehen, dass dieser Waffenstillstand hält?

Das ist die grosse Frage. Der Vertreter der Afrikanischen Union hat mehrfach betont, es sei einfach, eine Einigung zu unterschreiben, viel einfacher, als sie umzusetzen. Und diese Unterzeichnung sei nicht das Ende des Friedensprozesses, sondern der Anfang.

Die äthiopische Regierung hat schon einmal versprochen, dass die Infrastruktur wiederhergestellt werde und dass es Zugang humanitärer Hilfe gebe. Das ist aber nicht geschehen.

Auch der Vertreter der Volksbefreiungsfront von Tigray unterstrich, es gehe jetzt darum, die Abmachung umzusetzen. Man hat viel Misstrauen gespürt und das mit gutem Grund. Es gab bereits eine Waffenruhe. Sie hat fünf Monate gehalten.

Was macht Eritrea? Eritrea scheint kein Interesse an einem Frieden zu haben.

Die äthiopische Regierung hat schon einmal versprochen, dass die Infrastruktur wiederhergestellt werde und dass es Zugang humanitärer Hilfe gebe. Das ist aber nicht geschehen. Und dann kommt eine andere Frage dazu: Was macht Eritrea? Der Konflikt in Tigray ist schon lange kein regionaler Konflikt mehr.

Das Nachbarland Eritrea hat Truppen in Tigray. Eritrea scheint kein Interesse an einem Frieden zu haben. Eritrea wurde heute aber mit keinem Wort erwähnt, war auch nicht Teil der Friedensgespräche. Darum gibt es noch grosse Fragezeichen, ob der Waffenstillstand unter diesen Umständen tatsächlich andauern kann.

Darum geht es in dem Konflikt

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Die Rebellen der Tigrayer Volks-Befreiungsfront TPLF werfen Ministerpräsident Abiy Ahmed vor, die Macht auf Kosten der Regionen Äthiopiens zu zentralisieren. Abiy bestreitet dies und wirft der TPLF im Gegenzug vor, die Macht im Land zurückerobern zu wollen. Die TPLF war bis zur Wahl von Abiy zum Regierungschef 2018 dominierende Kraft im Staat. Die Kämpfe in Afrikas zweitbevölkerungsreichstem Land haben Millionen Menschen vertrieben, Tausende Zivilisten wurden getötet, in Teilen von Tigray herrscht Hungersnot.

Was heisst es für die Bevölkerung, dass nun zumindest vorerst dieser Waffenstillstand ausgehandelt werden konnte?

Das hängt davon ab, ob die äthiopische Regierung und die Befreiungsfront von Tigray sich an den Waffenstillstand halten, so dass es dann zu einem Friedensvertrag kommen kann. Es muss eine politische Lösung geben. Welchen Stellenwert kann die Region Tigray in Zukunft haben? Erst dann kann man wirklich von Frieden reden.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit vom 02.11.2022; 18 Uhr ; 

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