Zum Inhalt springen

Wahlen in Bolivien Die Tage unter dem sozialistischen Modell sind gezählt

Die sozialistische Regierungspartei «Movimiento al socialismo» (MAS) ist nach über 20 Jahren an der Macht abgewählt, wie der Sprecher des Obersten Wahlgerichts, Gustavo Ávila Mercado, gegenüber Radio SRF bestätigt: «Ja, die aktuelle Regierung verliert die Präsidentschaft.»

Die Abwahl der MAS ist in dem Andenland eine Sensation. Die Sozialisten kommen nur noch auf knapp über drei Prozent der Stimmen und nehmen damit nur hauchdünn die von Gesetz her nötige Hürde, um eine Auflösung ihrer Partei zu verhindern.

Eine weitere Überraschung: Der Parlamentsabgeordnete Rodrigo Paz zieht mit rund 33 Prozent als Erstplatzierter in die Stichwahl. Der Christdemokrat, der bisher in keiner Umfrage vorne lag, konnte in der Mitte punkten und holte besonders im ländlichen Bolivien Stimmen – in der einstigen Wählerbasis der Sozialisten von Ex-Präsident Evo Morales.

Absehbares Ende des sozialistischen Wirtschaftsmodells

In der Stichwahl trifft Paz auf Ex-Präsident Jorge Quiroga. Die Wählerinnen und Wähler hätten ein Machtwort gesprochen, sagte Jorge Quiroga noch in der Wahlnacht vor seinen Anhängern: «Wir werden die Verhältnisse in unserem Land nun für immer ändern. Bolivien wird frei sein.» 

Er bezieht sich damit auf das nun absehbare Ende des sozialistischen Wirtschaftsmodells Boliviens. Denn die MAS muss abtreten – nach monatelangen internen Partei-Streitereien und inmitten einer schweren Wirtschaftskrise. Diese in den Griff zu bekommen, wird die grösste Herausforderung für den neuen Präsidenten.

Sowohl Paz als auch Quiroga streben einen Wandel weg vom Sozialismus und hin zu einem kapitalistischen Wirtschaftssystem an.

Unklare Pläne

Wie genau sie das hoch verschuldete Bolivien aus der Krise führen wollen, ist noch unklar. Eine entscheidende Rolle sollen ausländische Investoren spielen.

Boliviens Wirtschaft ist bisher stark an Erdgas-Exporte gekoppelt, und es wird nun oft von Lithium-Exporten als Lösung für mehr Aufschwung gesprochen. Aber es fragt sich, ob nicht eine Abhängigkeit einfach durch eine andere ersetzt wird – statt die Wirtschaft stärker zu diversifizieren und Arbeitsplätze im eigenen Land zu schaffen. Rund 80 Prozent der Bolivianerinnen und Bolivianer arbeiten in der Schattenwirtschaft, weil es nicht genug legale Jobs gibt.

Und auch wenn Bolivien eine der grössten Lithium-Reserven der Welt hat, fehlt die nötige Infrastruktur, um dieses Lithium fördern und exportieren zu können.

Und was machen die Unentschlossenen?

Ex-Präsident Evo Morales durfte bei diesen Wahlen aufgrund einer Amtszeitbeschränkung nicht antreten – so entschied es das Oberste Gericht Boliviens, gestützt auf die Verfassung. Morales akzeptierte diesen Gerichtsentscheid aber nicht und rief seine Anhängerinnen und Anhänger dazu auf, aus Protest einen leeren oder ungültigen Wahlzettel in die Urne zu legen.

Im ersten Wahlgang gab es mindestens 20 Prozent solcher Stimmen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass darunter auch viele unentschlossene Wählerinnen und Wähler waren, oder solche, die aus Versehen beim Ausfüllen der Wahlzettel einen technischen Fehler begingen, sodass ihr Votum ungültig wurde.

Im zweiten Wahlgang könnten die bisher unentschlossenen Wählerinnen und Wähler nun eine entscheidende Rolle spielen.

Teresa Delgado

Südamerika-Korrespondentin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Teresa Delgado hat an der Universität Freiburg und in den USA Geschichte, Englisch und Spanisch studiert. Seit 2016 ist sie Redaktorin und Produzentin bei Radio SRF. 2021 und 2022 berichtete sie als Auslandredaktorin aus Spanien, Portugal und den USA. Seit 2023 ist sie Südamerika-Korrespondentin mit Sitz in Santiago de Chile.

SRF 4 News, 18.08.2025, 05:00 Uhr

Meistgelesene Artikel