Nach der Stunde null konnte es nur noch aufwärts gehen. 1945 war das Ruhrgebiet am Ende. Die Bombardierung der Industrieanlagen war extrem, die Zerstörung enorm. Hitlers wirtschaftliche Grundlage sollte vernichtet werden – nur so war der Krieg für die Alliierten zu gewinnen.
Doch das Ruhrgebiet rappelte sich wieder auf, es folgte das Wirtschaftswunder, die Menschen stiegen vom Velo aufs Motorrad, aufs Auto um. Der erste Käfer. Später sogar der erste Opel. Gar an Mercedes war zu denken. Zumindest mal Prospekte gucken. Die Sozialdemokraten versprachen den sozialen Aufstieg, morgen wird besser sein als heute. So ging das lange Jahre – bis der Strukturwandel das Erreichte wieder einriss. Die Zeche Zollverein in Essen war mal Symbol für die wirtschaftliche Kraft, heute ist es ein Museum, Unesco-Welterbe, schöne Aussicht vom alten Fördergerüst. Aber sie zieht keine Steinkohle mehr aus dem Boden – und damit kein Geld mehr.
Das Aufstiegsversprechen wurde gebrochen
Abstieg. Diese Erfahrung machten viele Menschen in Nordrhein-Westfalen (NRW). Die grossen Städte sind pleite, es regnet oder schneit oder zieht in die Schulhäuser. Der Niedergang, die ständige Veränderung, das alles hat sich in die Seelen eingefressen. Die Kurve der SPD in Umfragen und Wahlergebnissen zeigt seit den späten 1990er-Jahren steil nach unten. Viele Menschen haben das Vertrauen in die Politik verloren, fühlen sich im Stich gelassen. Gewerkschaftliche Milieus sind zerfallen. Vom alten Aufwärts ist schon lange nichts mehr zu spüren. Am kommenden Sonntag bei den Kommunalwahlen könnte das ein entscheidender Faktor werden.
Jetzt kommt die Alternative für Deutschland (AfD). Im Osten schon in vielen Bundesländern stärkste Partei, will man jetzt den Westen erobern. Meinungsforscher sprechen von «West-Wanderung» der in Teilen rechtsextremen Partei. Sie holt bisherige Nicht-Wählerinnen und Nicht-Wähler ab, aber auch SPD- und CDU-Anhängerinnen und Anhänger. Das Thema Migration spielt dabei eine grosse Rolle. Tatsächlich gibt es in vielen Städten viele Viertel, in denen sich vor allem Migrantinnen und Migranten aus Osteuropa im deutschen Sozialstaat eingerichtet haben. Mafiöse Organisationen lotsen Menschen aus Bulgarien oder Rumänien ins Ruhrgebiet, bringen sie in schimmligen Häusern unter, bedienen sich des Bürgergelds, der Sozialhilfe dieser Einwanderer. Viele Einheimische haben sie vor Augen, die Verelendung. Und fürchten sich davor, selber zu verelenden.
Was ist von CDU und SPD zu erwarten? Nichts, sagen viele
Dieser gefühlte Niedergang lässt viele Menschen zweifeln an der Kraft der linken oder der bürgerlichen Parteien, an SPD oder CDU. Und das, obwohl es in NRW viele gute Jobs gibt. Forschung, Technik, Dienstleistung. Doch jene, die daran nicht Teil haben, sehnen sich nach Veränderung, nach jemandem, der sich kümmert. Obwohl: Die AfD ist eine in vielen Politikfeldern neoliberale Partei, setzt zum Beispiel auf Markt statt höheren Mindestlohn. Letzterer kommt im AfD-Wahlprogramm nicht mal vor.
Nun also wird am Sonntag in NRW gewählt – und in Berlin guckt man bange auf das Land an Rhein und Ruhr. Schafft es die AfD, in Gemeinden und Städten Mehrheiten zu gewinnen, eine Art Volkspartei zu werden auch im Westen wie schon lange im Osten?
Es kann gut sein, dass es am Montagmorgen in den Chefetagen von CDU und SPD viel zu besprechen gibt.