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Wahlen in Syrien Das neue syrische Parlament ist kaum repräsentativ

Syrien wählt zum ersten Mal seit dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad im vergangenen Dezember ein Parlament. Zwei Drittel der Sitze sind vergeben, doch die bisherige Zusammensetzung sorgt für Diskussionen. Nahost-Korrespondent Thomas Gutersohn ordnet ein.

Thomas Gutersohn

Nahost-Korrespondent

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Thomas Gutersohn lebt seit 2023 in Amman und berichtet für SRF aus dem Nahen Osten. Von 2016 bis 2022 war er als Südasien-Korrespondent tätig, zuvor hat er aus der Westschweiz berichtet. Gutersohn arbeitet seit 2008 bei SRF und hat in Genf Internationale Beziehungen studiert.

Repräsentiert das neue Parlament die syrische Gesellschaft?

Im Moment noch nicht. Erst zwei Drittel der Sitze – also 140 von insgesamt 210 – sind vergeben. Und die bisherigen Ergebnisse zeigen ein einseitiges Bild: Die grosse Mehrheit der Gewählten bilden männliche, konservative, sunnitische Kandidaten. Frauen und Minderheiten sind dagegen kaum vertreten – nur sechs Sitze gingen an Frauen und weitere sechs an Vertreter von Minderheiten.

Warum wurden Minderheiten und Frauen bei der Wahl nicht stärker berücksichtigt?

In einigen Landesteilen, die von Minderheiten bewohnt werden – etwa im drusischen Suweida oder in den kurdisch dominierten Regionen im Nordosten – wurden die Wahlen verschoben. Offiziell wegen wiederkehrender Spannungen und Gefechte mit Regierungseinheiten. Im Prinzip sollten die Sitze, die für diese Regionen bestimmt sind, vakant bleiben, bis es auch dort zu einer Wahl kommt. Es war nicht die Bevölkerung selbst, die gewählt hat, sondern eine Auswahl von Wahlmännern und -frauen. Bei dieser Auswahl wurde wohl darauf geachtet, dass sie die Diversität widerspiegelt. Doch haben die Wahlmänner und -frauen offenbar auch eher konservative sunnitische Kandidaten gewählt – und nicht Vertreterinnen oder Vertreter aus ihren eigenen Reihen.

Wie geht die Regierung mit der ungleichen Sitzverteilung um?

Der Sprecher der Wahlkommission hat angekündigt, Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa werde Ungleichheiten bei der Sitzverteilung berücksichtigen. Das bleibt abzuwarten. Sharaa kann die verbleibenden 70 Sitze selbst vergeben. Damit hat er die Möglichkeit, gezielt Frauen und Minderheiten zu ernennen – was ihm im Ausland sicher Punkte bringen würde. Aber er muss zugleich seine radikal-islamische Gefolgschaft im Inland im Blick behalten. Diese Milizen haben ihn überhaupt erst an die Macht gebracht und erwarten jetzt ebenfalls politische Posten. Wie Sharaa dieses Spannungsfeld löst, dürfte sich in der kommenden Woche zeigen, wenn er die restlichen Sitze bekannt gibt.

Welche Aufgaben hat das neue syrische Parlament?

Das Parlament soll zwei Funktionen übernehmen: eine repräsentative und eine gesetzgebende. Repräsentativ ist es im Moment kaum. Gesetzgeberisch aber ist es wichtig, denn derzeit erlässt allein die Regierung alle Gesetze. Es braucht also zumindest institutionell einen Gegenpol. Ob das Parlament diesen tatsächlich ausfüllen kann, hängt aber stark von seiner endgültigen Zusammensetzung ab. Die Ausgangslage ist alles andere als ideal.

Wie lange bleibt das syrische Parlament in dieser Form bestehen?

Es handelt sich um ein Übergangsparlament für fünf Jahre. Danach, so das Versprechen der Regierung, sollen echte Volkswahlen stattfinden. Ob es dazu kommt, wird zeigen, wie ernst es der Übergangsregierung mit dem Demokratisierungsprozess ist.

SRF 4 News, 7.10.2025, 8:00 Uhr ; 

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