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Warenverkehr nach Nordirland Die EU-Kommission geht auf Grossbritannien zu

  • Die EU will die Spannungen im Streit um Nordirland abbauen und schlägt Erleichterungen im Warenverkehr in die Provinz vor.
  • Für bestimmte Warengruppen sollen nach Angaben der EU-Kommission voraussichtlich 80 Prozent der Kontrollen wegfallen.
  • Die Massnahmen betreffen Kontrollen von Lebensmitteln, Zollformalitäten und medizinische Produkte.

Man habe viel Arbeit in die neuen Vorschläge gesteckt, um «auf die von den Menschen und Unternehmen in Nordirland geäusserten Bedenken eine spürbare Veränderung vor Ort zu erreichen», sagte der Brexit-Beauftragte der Brüsseler Behörde, Maros Sefcovic, am Mittwochabend.

Einschätzungen aus Brüssel und London

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Schon vor Darlegung des heutigen Kompromiss-Vorschlags der EU hiess es aus Grossbritannien: «Das reicht nie und nimmer.» Einschätzungen von SRF-Grossbritannien-Korrespondentin Henriette Engbersen und SRF-EU-Korrespondent Michael Rauchenstein.

Woher kommt diese Blockadehaltung der Briten?

Henriette Engbersen: Mich erinnert diese sture Haltung der britischen Regierung an die früheren Brexit-Verhandlungen. Es würde mich nicht erstaunen, wenn die Strategie dieses Mal wieder eine ähnliche ist wie damals – zuerst viel Lärm und Drama machen, damit man, falls es zu einer Einigung kommt, diese als grossartige und einzige Option verkaufen kann. Das Fahrlässige an dieser Strategie ist, dass sie dem Friedensprozess in Nordirland schadet. Die aufgeheizte Stimmung nutzen radikale Organisationen vor Ort für ihre eigenen Interessen. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Was hat die EU für Optionen, wenn London den Schalter auf «stur» lässt?

Michael Rauchenstein: Die EU-Kommission wird nun zuerst versuchen, Gespräche zu führen und den Dialog zu suchen. Bereits am Donnerstag wird eine Delegation von Brüssel nach London reisen, am Freitag wird es Gespräche in Brüssel geben. Sollten bei den Gesprächen nichts herauskommen, könnte die Kommission ein Vertragsverletzungs-Verfahren weiterführen. Daraus könnten Strafzahlungen für Grossbritannien erfolgen. Allerdings sind wir von einem solchen Szenario noch weit entfernt. Die Kommission möchte die Situation nicht eskalieren lassen. Insbesondere wegen der Einwohner Nordirlands, welche unter der Situation am meisten leiden.

Auch der Europäische Gerichtshof ist Thema. Wird Brüssel da einen Schritt auf London zu machen?

Michael Rauchenstein: Heute Abend war eine Medienkonferenz und mehrere Journalisten haben diese Frage Maros Sefcovic, dem Brexit-Beauftragten der EU, gestellt. Dieser ist der Frage lange Zeit ausgewichen und meinte, er wollte nun nicht über rote Linien diskutieren. Schliesslich aber sagte er: Ohne Europäischen Gerichtshof gibt es keinen Zugang zum EU-Binnenmarkt. Einen Satz, welchen man in der Schweiz bestens kennt. Im Nordirland-Protokoll ist die Situation klar: Die Rolle des EuGH ist festgeschrieben, Boris Johnson hat das unterschrieben. Die Rhetorik der Regierung Johnson, welche nun wieder Stimmung macht mit dem EuGH, kennt man in Brüssel, und wird sich davon nicht beeindrucken lassen.

Mit dem sogenannten Nordirland-Protokoll gelang während der britischen Austrittsverhandlungen der Durchbruch im Streit um die frühere Bürgerkriegsregion. Darin ist geregelt, dass Nordirland weiterhin den Regeln des EU-Binnenmarkts und der Zollunion folgt. Damit soll eine harte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland – und ein neuerlicher Ausbruch des Konflikts um eine Wiedervereinigung der Insel – verhindert werden.

EU fordert Einblick in britische Systeme

Damit aber nicht unkontrolliert Waren in die  gelangen können, wurden Kontrollen zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs vereinbart. Das führte teils zu Problemen im Handel, für die sich London und Brüssel gegenseitig verantwortlich machen. Die britische Regierung erklärt das Protokoll inzwischen für gescheitert und verlangt eine grundlegende Neuverhandlung, die Brüssel jedoch ablehnt.

Ein weiteres Angebot der EU-Kommission sieht vor, den Papieraufwand bei Zollformalitäten um die Hälfte zu reduzieren. London müsse den EU-Behörden dazu aber Zugang zu IT-Systemen in Echtzeit gewähren, so die Forderung. Brüssel deutete zudem Gesprächsbereitschaft an: «Unsere Vorschläge werden der britischen Regierung heute nicht als ein ‹Friss-oder-stirb›-Paket vorgelegt», so ein Mitarbeiter der Kommission.

Tagesschau, 13.10.2021, 19:30 Uhr ; 

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