Vergesst die Burg, die Moldau und tausend Türme im goldenen Schimmer. Eigentlich geht es hier meistens ums Essen und Trinken. So leer sind Prags Gassen, dass man die verschnörkelten Muster auf den Pflastersteinen sieht.
Darüber spaziert eine junge Frau, eine Tschechin, normalerweise eine Rarität in der Innenstadt. «Jetzt kann ich endlich mit meinen Kindern in den Restaurants im Zentrum essen gehen, weil die Preise gesunken sind.»
Der Touristenansturm, das war vor Corona. Damals kostete ein Bier umgerechnet sechs Franken, jetzt noch zwei. Trotzdem sitzt man fast allein am mittelalterlichen Platz am Altstädter Ring. Für die Wirte ein Desaster.
Wirte in der Bredouille
Reden wollen sie darüber nicht. Schaltet man das Mikrofon aus, sagen sie: «Wir mussten einen Kredit aufnehmen. Das Hotel über unserem Restaurant öffnen wir erst nächsten Frühling wieder. Wenn die Regierung nicht weiter einen Teil unserer Angestelltenlöhne bezahlt, müssen wir sie entlassen.»
Hier ein verriegeltes Café, dort ein Aufkleber «zu vermieten». Am Altstädter Ring kommt gerade eine Familie vom Essen, eine tschechische Familie. «Ich bekomme nie genug von diesem Platz», sagt der Vater. Doch die Massen an Touristen hätten den Eindruck getrübt. «Für mich waren sie nie Feinde. Aber wenn ich jetzt ohne sie über die Karlsbrücke spaziere, so tut mir das gut.»
Prag ist so viel schöner, romantischer heute.
Auf der Karlsbrücke, der Mutter aller Prager Brücken: eine Band, ein 500 Meter langer Tisch, jeder Stuhl besetzt, Berge von selbst gemachtem Essen. Herrscht also doch wieder touristischer Trubel? Nein, hier picknicken lauter Tschechinnen und Tschechen. Sie feiern das Ende der Corona-Isolation.
Sie wollen so ihre Stadt zurückerobern, sich näher kommen an einem Ort, an dem in der Regel vor lauter Menschenmassen kein Durchkommen ist.
Eine Frau sagt: «Prag ist so viel schöner und romantischer heute.» Tschechiens Tourismusdirektor Tomáš Prouza würde hinzufügen: leckerer. Noch vor gut einem Jahr sei das Essen zwar oft reichhaltig gewesen, aber nicht gut.
Künftig weniger Billigware
«Und jetzt», sagt Prouza, «müssen sich die Restaurants mehr Mühe geben, und vielerorts schmeckt es besser.» Überhaupt hofft er, dass sich der Tourismus in Prag zum Besseren wendet. «Wir sollten die Leere nutzen, um Strassenhändler loszuwerden, die alte sowjetische Hüte verkaufen und schlechtes chinesisches Essen; Leute, die in riesigen Pandabär-Kostümen in der Altstadt tanzen, ebenso wie abgetakelte, überteuerte Hotels.»
Es war schön ohne Touristen. Aber jetzt dürfen sie gerne zurückkommen.
Prouza glaubt, dass jene überleben werden, die nicht mehr das Billigste vom Billigen bieten, wenn die Touristen zurückkommen. Und er glaubt, dass das Prag langfristig guttun wird. Zu wenig Familien seien vor Corona in Tschechiens Hauptstadt gereist – schlecht für ihre touristische Zukunft.
Werde Prag nun ruhiger, angenehmer, dann kämen die Familien zurück, vielleicht schon nächstes Jahr, glaubt der Tourismusdirektor. Es gibt übrigens auch Prager, die weder Restaurant noch Hotel haben und sich dennoch auf die Rückkehr der Touristen freuen. «Es war schön ohne Touristen. Aber jetzt dürfen sie gerne zurückkommen», sagt ein älterer Mann in der Altstadt. Für ihn gehören sie genauso zu seiner Stadt wie goldene Türme und Bier.