Es ist die wohl wichtigste Weltgesundheitskonferenz seit bald zwei Jahrzehnten. Denn diesmal geht es um zentrale Weichenstellungen. Das Coronavirus führte allen vor Augen: Die Welt ist auf eine solche Pandemie schlecht vorbereitet.
Das räumt auch WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus ein: Viele Experten hätten frühzeitig gewarnt und jetzt habe man gesehen: Sie hatten recht. Gleichzeitig ist man am WHO-Sitz in Genf überzeugt: Die Welt braucht die Weltgesundheitsorganisation mehr denn je.
Schonungslose Analyse aller Mängel
Damit die WHO ihre Aufgabe künftig besser erfüllen kann, braucht sie mehr Geld, mehr Personal und vor allem mehr Kompetenzen. Als Beispiel: Die Organisation wird lediglich zu 20 Prozent über fixe, planbare staatliche Beiträge finanziert. Die übrigen 80 Prozent muss sie Jahr für Jahr zusammensuchen, manche sagen: zusammenbetteln.
Eine schonungslose Analyse der Mängel im internationalen Gesundheitswesen liefert nun der Bericht eines Expertengremiums. Er wird diese Woche auf der Weltgesundheitskonferenz viel zu diskutieren geben.
Die Ko-Präsidentin des Gremiums, Ellen Johnson Sirleaf, früher Staatschefin von Liberia, drückt es drastisch aus: Sie sieht den Umgang der Welt mit Corona als «ein andauerndes Desaster». Viel zu viele Länder hätten viel zu lange geglaubt, das Coronavirus erreiche sie nicht und hätten einfach mal abgewartet.
Helen Clark, Ex-Regierungschefin von Neuseeland und ebenfalls Ko-Präsidentin im Expertengremium, nennt das ein politisches Versagen «vom Anfang bis zum Ende». Begonnen habe es mit der miserablen Vorbereitung sehr vieler Länder: Obschon vorgewarnt von früheren Epidemien wie Sars, Mers, Ebola oder Zika, sei man nachlässig geworden.
Beim Coronavirus waren alle zu spät
Konkret fehlten vielerorts brauchbare Pandemiepläne, Masken, Vorkehrungen für flächendeckendes Testen oder für die Nachverfolgung von Ansteckungen. Von seriöser Prävention keine Spur.
Die weltweite Alarmierung durch die WHO sei unnötig spät erfolgt. Auch deswegen, weil China entscheidende Informationen unter dem Deckel hielt und die Recherchen von WHO-Fachleuten vor Ort be- oder gar verhinderte.
Grössere Unabhängigkeit der WHO
Das Expertengremium fordert jetzt eine markante Stärkung der WHO: Es brauche ein permanentes Frühwarnnetz in allen Mitgliedsländern. Die UNO-Organisation müsse jederzeit und überall Untersuchungen durchführen dürfen – ohne Widerspruchsrecht von Regierungen – und ebenso ihre Erkenntnisse sofort publik machen.
Das heisst vor allem: Die WHO soll unabhängiger werden von den Regierungen. Diesem Ziel dient auch der Vorschlag, dass ein WHO-Generaldirektor künftig nur für eine einmalige siebenjährige Amtszeit gewählt wird. Gedanken an seine Wiederwahl müssen ihn also weder umtreiben noch in seinem Handeln einschränken.
Die Forderung nach einer stärkeren WHO wird auf der Weltgesundheitskonferenz viel Unterstützung erfahren. Hauptsächlich verbal. Denn sobald Regierungen Macht abgeben sollen an internationale Organisationen und Gremium, verhalten sie sich äusserst sperrig.
Ob also die nötigen Lehren aus der Coronakrise gezogen werden, ist zweifelhaft. Dabei könnte die Mahnung, das zu tun, deutlicher nicht sein. Denn schon jetzt steht fest: Im laufenden Jahr wird es sogar noch weitaus mehr Pandemietote geben als 2020.