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Wer führt künftig die EU? «Ohne grosse Koalition wird es schwierig wie noch nie»

Beim zweitägigen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel geht es ab heute um die Vergabe der Spitzenposten in der Europäischen Union. Die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei entscheidend für die Ausrichtung der EU in den nächsten fünf Jahren, sagt der Politologe Andreas Maurer.

Andreas Maurer

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Der Deutsche Andreas Mauer (54) ist seit 2013 Professor für Politikwissenschaften und Europäische Integration an der Universität Innsbruck. Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, wo er die Forschungsgruppen EU-Integration und EU-Außenbeziehungen leitete. Maurer hat das EU-Parlament beraten und sass mehrere Jahre in einem Ausschuss des Parlaments.

SRF News: Wie ist die Ausgangslage vor der Neuvergabe der fünf EU-Spitzenposten?

Andreas Maurer: Es ist sehr kompliziert, denn erstmals seit den Direktwahlen fürs Europaparlament können die Sozial- und Christdemokraten mangels grosser Koalition keine Mehrheit mehr bilden. Sie sind auf mindestens einen dritten Partner angewiesen. Die ab heute zusammenkommenden Staats- und Regierungschefs haben nur ein Nominierungsrecht. Die Mehrheit des Parlaments wird die Personen bestätigen müssen.

Wer kann von den anderen Parteien jetzt ebenfalls mitreden?

Bei den Beratungen im Europäischen Parlament nimmt neben den Sozial- und Christdemokraten die sehr stark gewachsene Fraktion der Reformer «Renew Europe» teil. Ebenso die Grünen, die wider aller Erwartungen massiv gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen sind. Diese Vierergruppe berät nun, wie das neue Gesamttableau aussehen könnte, kommt aber angesichts starker Eigeninteressen zu keinem Ergebnis.

Werden damit jetzt am Gipfel die Bündnispartner vorsondiert?

Damit eine Person vorgeschlagen werden kann, braucht sie das Vertrauen von ungefähr zwei Dritteln der Staats- und Regierungschefs. Danach muss das Parlament diese bestätigen. Das macht das Ganze so schwierig. Kommt hinzu, dass es nicht nur um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker im Kommissionspräsidium geht. Das neue Personalpaket umfasst auch die Nachfolge von EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Diplomatie-Chefin Federica Mogherini und von EZB-Chef Mario Draghi.

Wie wichtig ist die Herkunft eines Kandidaten oder einer Kandidatin?

Das spielt eine grosse Rolle. Das parteipolitische Farbenspiel muss ebenso berücksichtigt werden wie eine geografische Ausgewogenheit. Man kann nicht nur West- oder Nordeuropäer benennen. Die Gruppe der zuletzt beigetretenen Staaten vor allem aus Mittel- und Osteuropa plus Zypern und Malta erwartet, dass mindestens eine Person aus Osteuropa kommt. Es geht aber nicht so sehr darum, die eigenen Staatsangehörigen ins Spitzenpersonal zu hieven, sondern die Grossregionen gebührend repräsentiert zu haben. Da müssen sehr viele Interessen befriedigt werden.

Das Gespräch führte Teresa Delgado.

Wer übernimmt das EU-Kommissionspräsidium?

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Vestager, Weber, Timmermans
Legende: Keystone/Archiv

Anspruch auf den Posten erhebt der CSU-Politiker Manfred Weber, weil seine Europäische Volkspartei bei der Europawahl wieder stärkste Fraktion wurde. Doch der französische Präsident Emmanuel Macron und andere Regierungschefs stellen sich quer. Beworben haben sich auch der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans und die dänische Liberale Margrethe Vestager. Keine Partei hat eine eigene Mehrheit - weder im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs, die das Vorschlagsrecht haben, noch im Europaparlament, das den neuen Kommissionspräsidenten letztlich wählen muss.

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