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Wie stark ist die Terrormiliz? «Der IS ist nicht geschlagen»

Geht es nach dem von Kurden geführten Militärbündnis «Syrian Democratic Forces» (SDF), das auch von den USA unterstützt wird, steht der IS kurz vor dem Zusammenbruch. US-Präsident Donald Trump verkündete ebenfalls, dass die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kurz vor dem Ende sei. Der IS- und Jihadismus-Kenner Yassin Musharbash sagt: «Der IS bleibt ganz klar eine Bedrohung.»

Yassin Musharbash

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Yassin Musharbash arbeitet bei der Wochenzeitung «Die Zeit» als Journalist. Er ist Arabist, Autor und IS- und Dschihadismus-Experte.

SRF News: Lässt sich bereits abschliessend sagen, dass die Terrormiliz Islamischer Staat besiegt ist?

Yassin Musharbash: Was sicher richtig ist, dass die Präsenz des Islamischen Staates in Syrien kurz vor dem Ende steht, beziehungsweise er gerade dabei ist, den letzten Rest Territorium in den nächsten Stunden oder Tagen zu verlieren. Was das generell für seine Präsenz im Irak, in Syrien und auf der Welt bedeutet – das ist eine andere Frage.

Die Präsenz des Islamischen Staates in Syrien steht kurz vor dem Ende.

Die letzten Kämpfer der Miliz sollen in der Ortschaft Bagus im Euphrat-Tal eingekesselt sein. Was wissen Sie über die aktuellen Entwicklungen?

Der aktuelle Stand ist, dass einige 100 verbliebene IS-Kämpfer in diesem Dorf ausharren. Allerdings haben sie sich mehrere 100 Zivilisten als menschliche Schutzschilde verschafft. Sie haben ausserdem möglicherweise einige westliche Geiseln. Das alles bedeutet, dass die «Syrian Democratic Forces» und die Spezialkräfte der USA sowie Grossbritanniens nicht ohne Weiteres gegen den IS militärisch vorgehen können, wie sie das gerne würden. Deshalb zieht sich das Ganze noch ein hin. Es ist aber eine Frage der Zeit, bis dieses Dorf dem IS abgenommen wird.

Der IS ist also klar geschwächt; die oberste Führung aber soll sich in den Irak abgesetzt haben. Was bedeutet das?

Der IS bleibt ganz klar eine Bedrohung – auch auf Jahre hinaus. Es ist egal, mit welchem IS-Experten im Nahen Osten, in Syrien oder im Irak Sie sprechen, es gibt nur eine Ansicht und die lautet: Der IS ist nicht geschlagen; er verwandelt sich gerade in eine Untergrundorganisation, eine Guerillatruppe zurück, die mit gezielten Anschlägen weiterhin für Destabilisierung sorgen wird. Das kennt der IS schon. Das hat er früher schon getan, wenn er in der Defensive war. Ob er ein Comeback in der Form, wie wir ihn jetzt zuletzt erlebt haben, schafft, wird hauptsächlich davon abhängen, wie unzufrieden vor allem die sunnitischen Muslime im Irak in den kommenden Jahren sein werden. Denn das ist sein Rekrutierungspool, um möglicherweise und schlimmstenfalls wieder zu der Grösse anzuschwellen, die er eben in den letzten Jahren hatte.

Das kennt der IS schon; das hat er früher schon getan, wenn er in der Defensive war.

Ein Sprecher des Militärbündnisses SDF sagte kürzlich, um den IS zu besiegen, sei in Syrien eine politische Lösung notwendig. Was meint er damit?

So, wie ich ihn interpretiere, meint er damit, dass man darauf achten muss, dass sich nun in Syrien, wo man den IS nun kleinbekommen hat, keine Taschen, Ortschaften und Landstriche bilden, in denen niemand irgendeine Art von Kontrolle ausübt. Denn sobald sich dort ein Vakuum ergibt, wird sich das der IS zu Nutze machen und ein Präsenz aufzubauen versuchen. Im Irak ist das ebenso wichtig: Auch dort brauchen wir eine politische Lösung, die den IS eindämmt. Nur wenn die Sunniten im Irak mit dem Staat und der Regierung versöhnt werden können, kann man dem IS die Rekrutierungsmöglichkeiten abschneiden.

Heisst das konkret: Nur mithilfe des Westens namentlich den USA, aber auch Grossbritannien und Frankreich kann die Terrormiliz definitiv besiegt werden?

Ich würde sagen, dass es im Irak vor allem eine Aufgabe der Irakis selber ist. In Syrien ist es zumindest besser, wenn bis auf Weiteres auch Kräfte von aussen dabei mithelfen. In Syrien liegen die Dinge um Einiges komplizierter: Die Anzahl der Akteure ist gross und eine Zentralregierung, die legitimiert und in der Lage wäre, zu verhindern, dass der IS sich weiter ausbreitet, gibt es nicht. Zudem sind die Kurden durch den Kampf gegen den IS extrem geschwächt und brauchen Unterstützung.

Und im Irak?

Da ist es eine Frage des politischen Prozesses und des Wiederaufbaues der verheerten Regionen. Seit der Befreiung der ehemaligen IS-Hochburg Mossuls vor über einem Jahr sieht man, wie schwer das ist. Die Menschen, die dort unter IS-Herrschaft gelebt haben, sollen merken, dass sie befreit wurden und dass es besser als vorher geht. Die schiitischen irakischen Milizen, die im Kampf gegen den IS eine wichtige Rolle gespielt haben, sind allerdings dabei, ihr Prestige zu verspielen, in dem sie sich den Sunniten gegenüber an manchen Orten als Besatzungsmacht aufspielen. Das führt zu Spannungen und diese kann der IS schlimmstenfalls für seine Zwecke ausnutzen. Da muss man der irakischen Regierung helfen, die Versöhnungs- und Aufbauarbeit voranzutreiben.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

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