Der syrische Präsident Baschar al-Assad fordert für den Wiederaufbau seines Landes 195 Milliarden US-Dollar. Die Weltbank hat einen Betrag von 250 Milliarden US-Dollar berechnet – und es gibt sogar noch höhere Schätzungen.
SRF News: Wie entstehen solche Zahlen?
Fredy Gsteiger: Im Moment sind das nichts anderes als sehr grobe Schätzungen. Es darf nicht verwundern, dass diese weit auseinanderklaffen. Der Krieg in Syrien ist ja zum Teil noch im Gang und es ist schwierig überhaupt festzustellen, wo welche Bedürfnisse liegen.
Was beinhaltet der Wiederaufbau in Syrien alles?
Es geht um weit mehr als bloss um Beton und neue Stromleitungen. Ganze Strukturen müssen nach einem achtjährigen Bürgerkrieg wiederaufgebaut werden: das Schulwesen, das Gesundheitswesen. Und es stellt sich die Frage: Für wie viele Menschen muss das Land wiederaufgebaut werden? Bloss für jene Syrer, die sich im Moment noch im Land aufhalten, oder auch für die Millionen von Flüchtlingen, die möglicherweise zurückkehren?
Der Wiederaufbau wird auch nicht aus einem Guss stattfinden. Es wird keinen Marshall-Plan geben wie nach dem Zweiten Weltkrieg, wo die Siegermacht massgeblich den Wiederaufbau finanzierte. In Syrien sind die Siegermächte Iran und Russland dazu nicht imstande. Und jene westlichen Länder, die dazu finanziell imstande wären, sind nicht willens oder von der Regierung gar nicht willkommen.
Die EU sagt: Keine Hilfe ohne politische Veränderung. Eine Haltung, die vielleicht moralisch überzeugen mag. Ist sie auch politisch klug?
Ganz so hart sagt die EU das nicht. Sie ist weiterhin bereit, in grossem Umfang humanitäre Hilfe zu leisten. Aber es ist schwierig für westliche Länder zu rechtfertigen, dass man Milliarden in ein Land pumpt, in dem die Regierung überhaupt nicht kooperiert, wenn es etwa um Menschenrechte geht.
Hilfe setzt eine gewisse Mitsprache voraus. Umgekehrt heisst keine Hilfe auch keine Mitsprache.
Zudem ist das Risiko gross, dass Milliarden für den Wiederaufbau in die Taschen des Assad-Regimes fliessen. Hilfe setzt eben eine gewisse Mitsprache voraus. Umgekehrt heisst keine Hilfe auch keine Mitsprache. Das Gewicht der EU wird, wie es schon während des Krieges war, im künftigen Syrien nicht besonders gross sein.
Wenn der Westen nicht zahlen will und Assads Verbündete nicht genug zahlen können – wäre China eine alternative Geldquelle?
Darüber wird intensiv diskutiert. Russland und Iran hoffen, dass China in die Bresche springt. Dies vor allem, weil sich China traditionell nicht darum kümmert, welches politische System in einem Land, mit dem es kooperiert, herrscht.
Die chinesischen Geschäftsleute kalkulieren, dass die Zukunft von Syrien nicht gesichert ist.
China hat bisher zwar ein paar Milliarden zugesagt, aber im grossen Stil will es sich offenbar nicht engagieren. Zum einen gibt es dort kaum nennenswerte Rohstoffe. Zum andern kalkulieren die chinesischen Geschäftsleute, dass die Zukunft von Syrien nicht gesichert ist. China ist nicht besonders erpicht darauf zu zahlen, während am Ende dann doch Russland und Iran den bestimmenden Einfluss im Land haben.
Noch immer erreichen uns fast täglich Meldungen über kriegerische Gewalt aus Syrien. Ist es nicht noch etwas zu früh für Wiederaufbau?
Es ist richtig, dass in manchen Gebieten des Landes noch gekämpft wird, zum Teil sehr heftig. Aber in weiten Teilen herrscht doch inzwischen eine relative Ruhe. Entsprechend ist es nicht sinnvoll abzuwarten, bis der Konflikt überall vorbei ist. Zumal er vielleicht nie im ganzen Land wirklich vorbei sein wird. Es gibt Millionen von Syrern, die hoffen, dass in ihrem Land nach acht Jahren Bürgerkrieg endlich wieder ein halbwegs normales Leben möglich ist.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.