In Jordanien ist ein veritabler Skandal im Gange: Grund ist die Thriller-Serie «Jinn» (Dschinn), die erste arabische Eigenproduktion des amerikanischen Streaming-Dienstes Netflix. Jinn ist eine Serie für und über Teenager. Es geht um Freundschaft, erste Liebe und den Kampf von Gut gegen Böse - alles auf Arabisch. Die Serie – sie hat eben erst begonnen – hat bereits einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. SRF-Korrespondentin Susanne Brunner erklärt wieso.
SRF: Es muss eine unglaublich schockierende Serie sein. Was wird denn gezeigt?
Susanne Brunner: Die erste Episode der Serie zeigt Teenager, die sich küssen und Zärtlichkeiten austauschen. Und das reicht offenbar, um einen grossen Teil der jordanischen Öffentlichkeit zu schockieren. Viele finden, mit diesen Szenen habe Netflix das ganze Land durch den Dreck gezogen. Der Grossmufti von Jordanien hat sogar von einem moralischen Kollaps gesprochen.
Allerdings muss man auch sagen: Nicht alle Jordanierinnen und Jordanier sind schockiert. Es ist ja nicht so, dass sich Menschen hier nie küssen oder berühren – wenn auch nicht in der Öffentlichkeit, das tut man nicht. Gerade Teenager verstecken sich am Wochenende in Amman in dunklen Ecken von Treppen, wenn Sie sich mal ungestört halten wollen. Diese Serie sieht aber ja kaum jemand, weil die meisten gar kein Geld haben für einen Luxus wie Netflix.
In Amman spricht man gar von einer Staatsaffäre. Ist es so schlimm?
Ja, es sieht so aus. Für heute Mittag hatte ein Parlamentsausschuss eine Krisensitzung einberufen. Diese wurde dann aber kurzfristig vertagt, weil der Oberstaatsanwalt aktiv geworden ist. Er hat die Abteilung Cyberkriminalität im Ministerium für Innere Sicherheit beauftragt, den Fall zu untersuchen.
Es ist nicht undenkbar, dass sich diese Netflix-Affäre noch weiter ausweitet.
Man will wissen: Welche Zensurbehörde hat versagt? Wer hat gewusst, dass die schönen Landschaften Jordaniens für eine so schockierende Produktion missbraucht würden? Für den sogenannten Reform-Block im Parlament, in dem Muslimbrüder, konservative Christen und Stammesführer sitzen, ist klar: Premierminister Omar al-Razzaz und seine Regierung müssen die volle moralische und rechtliche Verantwortung für diesen angeblichen Schund übernehmen. In Jordanien bleibt kaum je ein Premierminister länger als ein bis zwei Jahre im Amt, bevor ihn der König wieder absetzt. Undenkbar ist es also nicht, dass sich diese Netflix-Affäre noch weiter ausweitet.
Netflix hat sich erst einmal voll und ganz hinter die Crew gestellt, die Jinn produziert hat.
Und was bedeutet das nun für die Serie? Für Netflix?
Netflix hat sich erst einmal voll und ganz hinter die Crew gestellt, die Jinn produziert hat. Diese wird nämlich arg bedroht und beschimpft. Ob die Serie ganz abgesetzt oder nur in Jordanien verboten wird, hängt davon ab, ob die liberaleren Kräfte im Land einmal mehr den Frommen und Ultrakonservativen das Feld überlassen.
Wenn die konservativen Kräfte gewinnen, ist in Jordanien wohl Schluss mit weiteren Produktionen wie Jinn. Das hiesse aber auch einen Rückschlag für jene Kreise, die in solchen Produktionen einen tollen Werbeeffekt für das Land sehen und damit auch eine Einschränkung der eh schon beschränkten Möglichkeiten für einheimische Filmschaffende.
Das Gespräch führte Danièle Hubacher.