Davor Dragicevics Sohn David starb im März letzten Jahres eines gewaltsamen Todes. Die Behörden versuchten, die Tat zu vertuschen und eine Aufklärung zu verhindern. Der Vater ist überzeugt, dass sein Sohn Opfer eines Komplottes wurde, in das Kriminelle, Polizisten und Politiker verstrickt sind.
Davor Dragicevic verstand es, eine Bürgerbewegung zu initiieren. Seither gingen immer mehr Menschen in Banja Luka auf die Strasse, um gegen Korruption und Machtmissbrauch zu demonstrieren. Seit kurzem ist Dragicevic spurlos verschwunden. Für die Politologin Tanja Topic hat der Fall viele im ethnisch gespaltenen Land vereint – in der Wut auf die Politik.
SRF News: Was weiss man über den Verbleib des Vaters?
Tanja Topic: Es gibt viele Spekulationen, aber keine verlässlichen Informationen. Einige vermuten, dass er sich auf der Flucht befindet. Daneben gab es Vorwürfe von offizieller Seite an die britische Botschaft. Demnach habe sich Dragicevic zuletzt dort aufgehalten. Einige Medien berichteten, dass sein Rechtsbeistand Kontakt mit der Anwaltschaft in Banja Luka aufgenommen habe. Weiter wurde der Vater beschuldigt, ein Putschist zu sein.
Wie schaffte es Davor Dragicevic überhaupt, eine solche Bewegung zu initiieren?
Die Unzufriedenheit der Bürger hat sich über Jahre aufgestaut. Vor allem in Banja Luka. Viele einfache Leute haben sich mit den Leiden des Vaters solidarisiert. Sie empfanden, dass so etwas auch ihnen passieren könnte.
Es gibt immer weniger Demokratie, es mangelt am Vertrauen in die Institutionen.
Dragicevic ist einer von wenigen, die es in den letzten zehn Jahren geschafft haben, die Menschen hinter sich zu scharen und sie als Bewegung zu organisieren.
Die bosnische Serbenrepublik wird von einem Klientelsystem regiert, die Regierung kontrolliert alles, freie Medien gibt es nicht, viele Menschen haben sich von der Politik abgewendet. Kamen die Proteste überraschend für Sie?
Eigentlich nicht. Es gibt immer weniger Demokratie, es mangelt am Vertrauen in die Institutionen. Diese werden von Politikern und den klientelistischen Strukturen missbraucht. Man versuchte jahrelang, jeden, der dagegen protestierte, als ausländischen Söldner und Verräter zu diffamieren.
Auch eine rigide ethno-nationalistische, klientelistische Politik hat Sympathisanten. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die zu all dem Nein sagen.
Der Fall des getöteten Jungen war ein Katalysator. Er führte dazu, dass viele Leute erwachten. Neu an dem Fall war, dass er ethnisch übergreifend Protest hervorrief.
Also wurden auch in der anderen Teilrepublik des Landes Demonstranten aktiv?
Auch in Sarajevo gab es einen Vorfall, bei dem die Institutionen versagt haben. Dabei ging es um den Tod eines jungen Bosniaken. Durch die Tragödien verbanden sich die Schicksale eines serbischen und bosniakischen Vaters. Die Ethno-Nationalisten und ihre Politik wurden hier wie dort angeprangert. Die Fälle haben aber auch zu einer neuen Solidarität im ganzen Land geführt.
Was könnten denn diese Proteste in Bosnien-Herzegowina bewirken?
Die Regierung stürzen werden sie wahrscheinlich nicht. Sie wurde erst kürzlich bei den Wahlen bestätigt. Die Proteste haben die Gesellschaft aber verändert, sie ist stark gespalten. Vor allem in der Serbenrepublik. Denn auch eine rigide ethno-nationalistische, klientelistische Politik hat Sympathisanten. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die zu all dem Nein sagen. Sie zeigen grössere Empathie für den einfachen Menschen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.