In Deutschland debattiert man wieder über Migration. Dabei zeichnet sich der nächste grosse Streit in der Ampelkoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz ab. Ausgelöst hat die Debatte der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder, welcher eine Obergrenze von 200'000 Asylsuchenden pro Jahr fordert. Viele sind sich einig: so kann es nicht weitergehen. Einschätzungen von Stefan Reinhart, ehemaliger Deutschland-Korrespondent und aktuell in Berlin.
Warum kommt die Debatte gerade jetzt auf?
In Bayern geht es um den Wahlkampf, dort wird Anfang Oktober gewählt. Aber es ist vor allem der enorme Druck der Bundesländer, welche für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig sind. Eine Frau, die sich um Flüchtlinge kümmert, erklärte mir, dass sie nicht mehr könne. Es sei unmöglich, diese Flut zu bewältigen, geschweige denn überhaupt Menschen in Deutschland zu integrieren. Bundeskanzler Scholz möchte an einem Europa der offenen Grenzen festhalten. Nun kommt aber Druck von der Opposition. Auch die FDP, welche an der Ampelregierung beteiligt ist, plädiert für mehr Härte.
Wird die Debatte von der Angst vor der AfD befeuert?
In drei ostdeutschen Bundesländern, Thüringen, Brandenburg und Sachsen, wird in einem Jahr gewählt. In Brandenburg zeigen neueste Zahlen, dass die AfD, in Teilen als rechtsextrem eingestuft, laut Umfragen stärkste Kraft ist. Den Regierungsparteien und der Opposition ist bewusst, dass man etwas machen muss. Was genau, bleibt jedoch die Frage.
Welche Ideen stehen im Raum?
Auf der einen Seite gibt es das «Obergrenzenmodell», welches Markus Söder vorgestellt hat. 200’000 Geflüchtete pro Jahr sollen in Deutschland einreisen können. Nun hat sich am Sonntag sogar der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck zu Wort gemeldet. Man müsse Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch seien, weil sie inhuman klingen würden. Anders ausgedrückt: Ja, wir müssen etwas tun und die Zahlen begrenzen. Gauck hat sich auch auf die Sozialdemokraten in Dänemark bezogen. Diese haben begonnen, gegenüber Geflüchteten eine harte Linie zu fahren. Mit diesem Vorgehen hat man eine rechtsextreme Partei auf unter 3 Prozent drücken können. Dieses dänische Modell könnte mittel- oder sogar kurzfristig in Deutschland ein Vorbild werden.
Welche Möglichkeiten hat Bundeskanzler Scholz?
Er befindet sich in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite muss er die Ampelkoalition aus Grünen, FDP und SPD zusammenhalten. Während die FDP härtere Massnahmen fordert, sprechen sich die Grünen für offene Grenzen und quasi grenzenlose Solidarität aus. Die Regierung ist gespalten, was wiederum den Handlungsspielraum des Kanzlers einschränkt. Der 65-Jährige möchte primär, dass die Aussengrenzen der EU besser geschützt sind, dass man Abschiebeabkommen machen kann. Einen ersten Schritt gab es bereits: Georgien wurde beispielsweise als sicheres Herkunftsland eingestuft. Entsprechende Abkommen strebt man auch mit Maghrebstaaten an, aber auch hier ist der Widerstand der Grünen gross.
Welche Meinung ist in der Bevölkerung mehrheitsfähig?
Die Menschen in Deutschland sind offen für Flüchtlinge und die Dramen, die sich auf der Welt abspielen. Aber man sieht eben gleichzeitig auch, dass die Grenzen und die Integrationsmöglichkeiten erreicht werden, dass sich die Menschen vor zu grosser Zuwanderung fürchten und damit natürlich auch die Solidarität bei den Menschen massiv sinkt.