Ein Café irgendwo am Stadtrand von Rom. Auf der sonnigen Terrasse hat eine etwa 50-jährige Frau Platz genommen, die nur ihren Vornamen nennt.
Alessia wurde erst vor wenigen Wochen aus dem Gefängnis entlassen. Nun kann sie die letzten sechs Monate ihrer anderthalbjährigen Strafe im Hausarrest absitzen: «Während einiger Stunden darf ich meine Wohnung verlassen. Sonst muss ich den Tag zu Hause verbringen.»
Vier Frauen in einer Zelle
Wegen eines Jahre zurückliegenden Drogendelikts war Alessia in einem Römer Frauengefängnis eingesperrt. Zur Situation dort kommt ihr nur ein Wort in den Sinn: «vergognoso» – schändlich. Vier Frauen waren in ihrer Zelle – ein Turmbett und zwei Einzelbetten.
«Schon mit normalen Personen ist es schwierig, über Monate hinweg auf engstem Raum zusammenzuleben.» Doch in ihrer Zelle seien zwei Drogensüchtige gewesen; durchgeknallt seien die gewesen. Zudem habe sie eine sexuell bedrängt. Schliesslich habe man sie in eine andere Vierer-Zelle verlegt.
In ihrer Zeit im Gefängnis habe sich eine junge Frau erhängt. Andere hätten versucht, sich umzubringen. Alessia sagt, sie selbst habe nie daran gedacht, sich etwa anzutun – nur schon wegen ihrer Kinder, die draussen auf sie warteten.
Zustände verschlimmern sich wieder
2014 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Italien wegen seiner Missstände in den Gefängnissen. Als Folge wurden etwa Häftlinge vorzeitig entlassen, um Platz zu schaffen. Doch nun füllen sich Italiens Haftanstalten wieder – auch weil die Regierung Meloni die Strafen für gewisse Delikte erhöhte, ohne allerdings die Zahl der Gefängnisplätze zu erhöhen.
Dazu sagte der Präsident der Aufsichtsbehörde über Italiens Gefängnisse: Die Überbelegung allein führe nicht zu den hohen Suizidraten. Oft hätten Leute, die sich in der Haft das Leben nehmen, keine Familie oder sie hätten andere, schwerwiegende Probleme.
Man gewinnt keine Wahlen, wenn man sich für bessere Haftbedingungen einsetzt.
Marco Costantini aber sieht einen engen Zusammenhang zwischen schlechten Haftbedingungen und Suiziden. Costantini sass wegen eines Finanzdelikts 19 Jahre und drei Monate in Haft.
Er sagt, in Italien hätten weder linke noch rechte Regierungen den Willen, die Verhältnisse in den Gefängnissen zu verbessern. Denn: «Man gewinnt keine Wahlen, wenn man sich für bessere Haftbedingungen einsetzt.»
Der Staat muss Häftlinge schützen
Costantini kam schon vor etlichen Jahren aus der Haft und schrieb über seine Jahre im Gefängnis ein Buch. Heute setzt er sich mit einer Organisation für die Rechte von Gefangenen ein.
Dass sich derzeit in Italien jeden zweiten oder dritten Tag ein Häftling das Leben nimmt, bezeichnet er als Skandal: «Häftlinge befinden sich in der Obhut des Staates und darum muss der Staat sie auch schützen.»
Wenn er in der Haft psychische Probleme hatte, habe man ihm nur Tabletten gegeben. Einmal wollte er sich mit dem Deckel einer Konservendose die Pulsader aufschneiden. Doch dann habe er sich gesagt: «Was um Himmels willen tue ich?» Schliesslich legte Costantini das scharfe Blech zurück.
Was könnte der Staat tun, um zu verhindern, dass sich so viele Häftlinge das Leben nehmen? Costantini kommt spontan etwas in den Sinn: Ein zusätzlicher Telefonanruf kann Leben retten.
Mit anderen Worten: «Seid grosszügig, wenn es einem Häftling schlecht geht. Lasst ihn mit seiner Familie oder Freunden sprechen.»