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Zum Hass erzogen Eine Kindheit im Nazi-Elternhaus

In einer Neonazi-Familie aufgewachsen, schaffte Benneckenstein als junge Frau den Ausstieg. Und schrieb ein Buch, das aufwühlt.

Ich habe meine ersten 18 Jahre mit Nazis verbracht. Ich wurde von ihnen erzogen und aufs Leben vorbereitet. Ich wurde von ihnen geschlagen und drangsaliert, gelobt und belohnt.

So erinnert sich Heidi Benneckenstein in ihrem Buch «Ein deutsches Mädchen. Mein Leben in einer Neonazi-Familie».

«Das grosse Feindbild bei uns zu Hause waren Amerika und die Juden. Ich konnte mir als Kind nichts darunter vorstellen und hatte auch keine Möglichkeit, dieses Feindbild zu hinterfragen. Es gibt definitiv eine Erziehung zum Hass. So, wie ich die Entwicklung der Kinder erlebt habe, mit denen ich gross geworden bin, hat sie auch gefruchtet», erzählt Benneckenstein im Gespräch.

Heidi Benneckenstein
Legende: Dass Radikalisierung und Hass zunehmen, überrascht Heidi Benneckenstein nicht. Die 27-Jährige kennt die Rechtsextremen-Szene viel besser, als ihr lieb ist. imago images

Der Vater, ein angesehener Beamter in Bayern. Zu Hause Stickdeckchen mit völkischen Sprüchen, den Keller voller Biografien von Nazi-Grössen. Jeans waren verboten, mit blonden Zöpfen lief Heidi im Dirndl herum. Regelmässig musste sie in konspirative Ferienlager der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ).

Übernachten im «Führerbunker»

«Diese Ferienlager gibt es noch heute, auch wenn die HDJ mittlerweile verboten ist. Sie haben sich ins europäische Ausland verlagert, weil sie feststellten, dass man in Deutschland genauer hinschaut. Die Kinder werden in diesen Lagern militärisch gedrillt. Ich glaube, viele Erziehungsmethoden, die einige bei der Bundeswehr kennenlernen, habe ich mit sechs Jahren kennengelernt.»

Der Tagesablauf war von morgens bis abends rigide durchstrukturiert. Zum Fahnenappell mussten wir auch bei eisiger Kälte 30 Minuten lang strammstehen. Unsere Zelte hiessen ‹Führerbunker› oder ‹Germania›.

Das alles diente der Abhärtung für das eine grosse Ziel: den Umsturz des Staates. «Die Eltern der HDJ-Kinder waren keine armen Leute oder Kleinbürger. Viele stammten aus der oberen Bildungs- und Einkommensschicht: Intellektuelle, Professoren, Zahnärzte», so Benneckenstein. «Sie waren ein Haufen fanatischer Erwachsener, die ihrem Nachwuchs einbläuten, er besitze die einzigartige Ehre, in einer kranken Gesellschaft zu den wenigen Gesunden zu hören.»

Von wegen stumpfe Glatzköpfe

Sie betont: «Wir sprechen hier nicht von stumpfen Glatzen. Es ist eine sehr elitäre und gehobene Gemeinschaft. Diese Leute legen auch Wert darauf, dass das so bleibt.»

Diese Kinder von damals sind nun gross geworden – Benneckenstein kennt keinen, der wie sie aus der Neonazi-Szene ausgestiegen ist. Viele seien an den Hebeln der Macht angelangt, erzählt sie am Rande einer Podiumsdiskussion. «Was noch schockierender ist: Es sind nicht Leute, die für die AfD im Bundestag sitzen. Sondern solche, die im Hintergrund agieren; die etwa Fraktionsmitarbeiter sind. Und damit wieder eine verborgene Position haben, in der sie geistige Brandstifter sind.»

Oft erkenne sie Leute im Umfeld von Andreas Kalbitz. Der Chef der AfD Brandenburg ist vernetzt mit solch rechtsextremen Kreisen. Das ist bekannt – trotzdem wurde er eben als Beisitzer in den Bundesvorstand der AfD gewählt.

«Vom Zeltlager zum NSU sind es nur ein paar Schritte»

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Die Neonazi-Szene hätte sich in aller Ruhe formieren und bewaffnen können, erzählt Benneckenstein. Vom scheinbar harmlosen Zeltlager zu den Gräueltaten des Nationalsozialistischen Untergrunds NSU seien es nur ein paar Schritte.

Auch der Verfassungsschutz warnt vor der ungebrochen hohen Mobilisierungskraft. Eine neue Rechte arbeite daran, das gesellschaftliche Klima zu beeinflussen. «Je rechter die Gesellschaft wird, je mehr antisemitische Parolen es gibt, die einfach hingenommen werden, desto mehr finden sich die Neonazis bestätigt», konstatiert Benneckenstein.

Heidi Benneckenstein und ihr Mann haben den Ausstieg geschafft – dank besonderem Schutzprogramm. Jetzt engagiert sie sich bei der Prävention und er beim Rechtsextremen-Ausstiegsprogramm Exit. Diese Organisation ist nötiger denn je, würde man meinen – nach dem mutmasslich rechtsextremen Mord am hessischen Politiker Walter Lübcke und dem Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle. Die Politik spricht gerne von einem Weckruf.

Trotzdem müssen hochgelobte Programme wie Exit um staatliche Fördergelder bangen. Das will Benneckenstein nicht in den Kopf. «Ich frage mich schon: Haben wirklich alle Politiker auf dem Schirm, was hier gerade los ist?»

Bitter ist das Lachen der jungen Frau, des einstigen Nazimädchens – denn wenige können so präzise Bescheid geben, was in der Rechtsextremenszene in Deutschland gerade los ist.

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