Eyal Eshel hat das erlebt, was kein Vater erleben will: Er hat seine Tochter verloren. Die damals 19-jährige Roni wurde vor zwei Jahren beim Hamas-Angriff getötet. Seither sucht Eyal Eshel nach Antworten. Warum Israels Armee und Geheimdienste an diesem Tag versagt haben. Warum seine Tochter sterben musste.
Roni war als Späherin der israelischen Armee direkt an der Grenze zum Gazastreifen stationiert, als die Hamas angriff. Genau vor einem solchen Angriff hätten die Späherinnen schon in den Tagen vor dem Massaker gewarnt, erzählt Vater Eyal.
Sie hätten verdächtige Aktivitäten beobachtet. Doch niemand habe die jungen Frauen ernst genommen. «Wenn man auf sie gehört hätte – am 7. Oktober und davor –, dann wäre das alles vielleicht nie passiert. Und die Mädchen wären heute noch bei uns.»
Die Aufarbeitung stockt
Dass es Warnungen im Vorfeld gab, ist seit Längerem bekannt. Aber die Aufarbeitung stockt. Kurz nach dem Angriff versprach Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: «Die Fehler werden untersucht werden und alle werden Antworten geben müssen – auch ich. Aber das wird nach dem Krieg geschehen.»
Doch der Gaza-Krieg dauert seit zwei Jahren an. Viele Israeli machen dafür auch Netanjahu verantwortlich und werfen ihm vor, den Krieg in die Länge zu ziehen, um an der Macht zu bleiben.
Während Israels Armee eigene Untersuchungen eingeleitet hat und hochrangige Militärs zurückgetreten sind, hat Netanjahus Regierung bisher jegliche unabhängige Untersuchung blockiert.
Je mehr Zeit vergeht, umso kleiner die Chance, dass wir je erfahren, was wirklich passiert ist.
Eyal will die Untätigkeit der Regierung nicht einfach so hinnehmen. «Statt Verantwortung zu übernehmen, versteckt ihr euch. Statt zurückzutreten, klammert ihr euch an euren Posten fest», sagt er.
Zusammen mit anderen Opferangehörigen hat er die Bewegung «October Council» gegründet. Diese fordert die Bildung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Ein Anliegen, das die Mehrheit der Israeli unterstützt.
«Je mehr Zeit vergeht, umso kleiner die Chance, dass wir je erfahren, was wirklich passiert ist», sagt Dana Blander. Sie forscht am israelischen Demokratie-Institut IDI zur öffentlichen Aufarbeitung. Um aus den Fehlern zu lernen, sei eine unabhängige Untersuchung wichtig.
Ich fühle nichts. Die Menschen dort sind mir egal.
Nicht nur rund um den 7. Oktober, sondern auch für den Gaza-Krieg: «Wenn wir nicht selbst untersuchen, etwa wie der Gaza-Krieg geführt wird: Wie können wir dann behaupten, dass wir die schrecklichen Verbrechen nicht begangen haben, die man uns weltweit vorwirft?»
Mit einer solchen Untersuchung könne Israel der Welt zeigen, dass es noch eine Demokratie sei, die sich selbst kontrollieren könne. «Wenn wir das nicht tun, werden es andere für uns tun.»
Kampf für Gerechtigkeit
Eshel hat für seine Tochter Roni und weitere Opfer des 7. Oktobers eine Gedenkstätte mit aufgebaut – direkt in Blickweite des zerstörten Gazastreifens. Von dort, wo die Hamas vor zwei Jahren ihren blutigen Überfall startete. «Ich fühle nichts, wenn ich dort hinüberblicke», sagt Eshel. «Die Menschen dort sind mir egal.»
Der Krieg in Gaza: so nah und doch so fern. Eyal hat seinen eigenen Kampf auszufechten: Den für Gerechtigkeit für seine Tochter – und dass die Aufarbeitung in Israel beginnt. «Die Wahrheit muss ans Licht kommen. Nur so können wir als Gesellschaft weiterkommen.» Die Verantwortlichen des Sicherheitsversagens vom 7. Oktober 2023 sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Damit er eines Tages vielleicht Frieden schliessen kann mit dem Tod seiner Tochter.