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Zwei Länder, zwei Strategien Coronapolitik in England und Frankreich: Ein Vergleich, der hinkt

Macron verschärft die Massnahmen wieder, Johnson kündigt deren Aufhebung an. Welches Land ist das bessere Vorbild?

Frankreich verschärft die Corona-Massnahmen, weil die Fallzahlen wieder steigen. Das hat Präsident Emmanuel Macron angekündigt. Unter anderem sollen ab August Fernzüge, Bars, Restaurants, Einkaufszentren und Spitäler nur noch jenen Personen offen stehen, die einen negativen Coronatest oder einen Impfnachweis haben. Frankreich führt sogar eine Impfpflicht für Personal im Gesundheitsbereich ein.

Ganz anders sieht es in England aus: Premierminister Boris Johnson bestätigte am Montag, dass er in einer Woche alle verbliebenen Coronaregeln abschaffen will. Vordergründig passen die beiden Vorgehensweisen nicht zusammen. Doch die unterschiedlichen Wege, die England und Frankreich einschlagen, lassen sich durchaus erklären: «Die Situation in den beiden Ländern ist einfach verschieden», sagt Katrin Zöfel von der SRF-Wissenschaftsredaktion.

Durchimpfungsrate nicht gleich hoch

In Frankreich ist bisher rund ein Drittel der Bevölkerung zweifach geimpft, in Grossbritannien hingegen bereits mehr als die Hälfte. «Das heisst, die Gefahr, dass die kommende Infektionswelle aus dem Ruder läuft, ist in Frankreich höher», erklärt Zöfel. Hinzu komme: Frankreich hatte seine Massnahmen teils schon recht weitgehend gelockert.

«Diese Schritte werden nun teilweise wieder zurückgenommen», so Zöfel. In Grossbritannien bleibt Kritik an der Regierung nicht aus: Johnson argumentiert, dass dank Impfungen die Hospitalisierungen nun nicht mehr so stark steigen, auch bei stark steigenden Fallzahlen nicht.

Forscher sind für Schutz der Jungen

Das sei zwar in der Tendenz richtig, sagt die Wissenschaftsredaktorin. «Aber eine Gruppe von namhaften Wissenschaftlern meldet Zweifel an.  Sie sagen: Das Land derart weitgehend zu öffnen zu einem Zeitpunkt, an dem sich zwar viele, aber eben nicht alle durch eine Impfung haben schützen können, vor allem Jugendliche und Kinder nicht, das gehe so nicht.»

Man setze sie damit einem viel zu hohen Infektionsrisiko aus, so die Forscher. «Der Gedanke dahinter ist, dass die Auswirkungen einer Erkrankung auf die Jüngeren zwar viel geringer sind als auf Ältere, aber halt auch nicht Null.» Wenn man deren Infektion massenhaft riskiere, bekäme das ein anderes Gewicht. Deshalb müsse man sie besser schützen, man dürfe sie nicht einfach «durchseuchen».

Was bedeutet das für die Schweiz?

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Wer im Umgang mit dem Coronavirus das bessere Vorbild ist, England oder Frankreich, bleibt laut SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel eine Abwägung. Es sei zwar gut, dass andere Länder einen Schritt voraus seien bei der Ausbreitung der Delta-Variante und in Sachen Impfung. «Dadurch kann man aus deren Erfahrung lernen», sagt sie.

Auf der einen Seite stehe Johnson, «der sich als der Mann profiliert, der den Menschen im Land trotz steigender Zahlen Freiheiten zurückgibt und dabei wirklich weit geht». Und auf der anderen Seite ist Macron, der gelockert hatte, und jetzt wieder strikter wird – «aus seiner Sicht werden muss, auch um eine erneute Überlastung der Spitäler zu verhindern, weil man für eine neue Welle mit dem Impfen einfach noch nicht weit genug ist».

Was man auf sicher sagen könne, so die Redaktorin: Je mehr Menschen geimpft sind, desto weniger sind die reinen Fallzahlen alleine das Mass der Dinge. «Ohne Impfung war das wirklich eine direkte Beziehung: Mehr Infektionen hiess zwangsläufig mehr Hospitalisierungen und mehr Tote.»

Diese direkte Kopplung werde durch die Impfung geschwächt. «In Grossbritannien zum Beispiel zeigt sich das klar, und das ist eine gute Nachricht. Was noch nicht klar ist und mangels Erfahrung noch nicht klar sein kann, ist aber, wie stark die Entkopplung tatsächlich ist.»

Eine weitere offene Frage sei auch, wie sehr auf Dauer Faktoren wie Long-Covid oder massenhafte Infektion der Jüngeren ins Gewicht fallen. «Das ging vielleicht etwas vergessen in den letzten Monaten, weil der Fokus vor allem auf den Alten und den Risikopersonen lag.»

SRF 4 News, 13.07.2021, 07:20 Uhr ; 

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