Der 80-jährige Ami Ayalon kann die Kriege gar nicht mehr zählen, in denen er als Soldat für Israel gekämpft und als Marine-General oder Inlandsgeheimdienstchef gedient hat. «Heute weiss ich: Es ist immer derselbe Krieg.»
Die Kriege zwischen Israel und Palästinensern seien über die Jahrzehnte «normal» geworden – so sehr, dass Premier Benjamin Netanjahu begonnen habe, das leidige Palästinenser-Thema zu ignorieren, sagt Ayalon.
«Netanjahus grösster diplomatischer Erfolg war es, Europa und die USA davon zu überzeugen, dass Stabilität im Nahen Osten ohne Einbezug der Palästinenser möglich sei. Niemand sprach mehr von den Palästinensern. Es war, als ob man sie wegradiert hätte», sagt Ayalon.
Stattdessen hätten alle von «Normalisierungsabkommen» zwischen arabischen Staaten und Israel gesprochen.
Die Palästinenser drohten vergessen zu werden
Diese Entwicklungen hätten den inzwischen getöteten Hamas-Führer Yahya Sinwar veranlasst, seine Angriffspläne gegen Israel voranzutreiben: «Für Sinwar war klar: Wenn die Hamas nicht bald angreift, werden die Palästinenser keine Rolle mehr spielen in der Geschichte des Nahen Ostens», sagt Ayalon.
Der Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 und alles, was danach geschehen sei, habe Israel nur noch zwei Möglichkeiten gelassen: «Ein Weg führt in einen endlosen Krieg, der andere bietet eine unverhofft grosse Chance für Frieden.»
Das ist kein Verteidigungskrieg mehr. Dieser Krieg hat die Ausweitung von Israels Grenzen zum Ziel.
Ayalon weist darauf hin, dass sich die Arabische Liga bereits 2002 für eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel ausgesprochen hatte. Ihre wichtigsten Bedingungen: ein unabhängiger palästinensischer Staat und ein Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten für ihre Anerkennung Israels.
Das sei ein Sieg für Israel gewesen, sagt Ayalon. Aber das habe sein Land damals nicht begriffen. Inzwischen begreife aber die ganze Welt: Gewalt allein bringe Israel keine Sicherheit. «Das ist kein Verteidigungskrieg mehr. Dieser Krieg hat die Ausweitung von Israels Grenzen zum Ziel. Und er bricht mit der ursprünglichen Vorstellung einer jüdischen Demokratie.»
Zweistaatenlösung in Israel nicht mehrheitsfähig
Mit seiner Haltung ist der ehemalige Inlandsgeheimdienstchef in Israel in der Minderheit. Davon lässt er sich nicht beirren.
«Zum ersten Mal ist sich die ganze Welt der internationalen Tragweite dieses Konflikts bewusst geworden. Jeder Politiker in Europa und den USA muss Stellung beziehen zu Israel und den Palästinensern – und über die Auswirkungen des Konflikts im eigenen Land reden.»
Das Chaos der letzten zwei Jahre im Nahen Osten gebe weit extremeren Kräften als der Hamas Auftrieb. Ayalon verweist auf den erstarkten IS, den «Islamischen Staat». Mit seiner Kriegsführung im Gazastreifen habe Israel zudem selbst befreundete Staaten vor den Kopf gestossen.
Ayalon ist überzeugt: Nur das Ende der israelischen Besatzung und die Schaffung eines palästinensischen Staates können Frieden und Sicherheit bringen. Unter Einbezug professioneller, palästinensischer Kräfte.