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Zweite Welle in Melbourne «Als Ansteckungsherd wurden Quarantänehotels identifiziert»

Im australischen Bundesstaat Victoria hat die Regierung wegen erneut stark steigender Corona-Infektionen den Notstand ausgerufen. Besonders hart trifft es die Bevölkerung von Australiens zweitgrösster Stadt Melbourne: Sie dürfen kaum noch raus. Laut SRF-Australienmitarbeiter Urs Wälterlin verstehen die meisten den Ernst der Lage und halten sich an die strengen Massnahmen.

Urs Wälterlin

Mitarbeiter Australien/Ozeanien

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Der gebürtige Prattler Urs Wälterlin lebt seit 1992 in der Nähe der australischen Hauptstadt Canberra. Er berichtet für SRF über Australien, Neuseeland und Ozeanien.

SRF News: Was bedeutet der Notstand für Victoria?

Für die Stadt Melbourne und Umgebung gelten nun Regeln, wie wir sie aus Neuseeland kennen, das einen der schärfsten Lockdowns weltweit hatte. Ausgangssperre über Nacht, Einkaufen nur noch das Notwendigste und nur einmal pro Tag – in einem Umkreis von fünf Kilometern. Sport darf man nur noch eine Stunde lang in der Umgebung treiben. Und natürlich gelten weiter soziale Distanz und Maskenpflicht.

Wie schlimm ist die Lage im Bundesstaat Victoria?

Victoria ist der am schwersten von Corona betroffene Bundesstaat. Heute gab es über 400 neue Fälle. Über 6000 sind derzeit aktiv. Die Spitäler sind sehr stark belegt. Täglich sterben zwischen sechs und zehn Menschen. Diese Zahlen haben sich leider in den letzten zwei Wochen nach oben entwickelt.

Andrews mit Maske
Legende: Victorias Premier Daniel Andrews musste wegen steigender Zahlen strengere Massnahmen anordnen. Keystone

Weshalb steigen die Zahlen jetzt wieder?

Als einer der Herde der Ansteckungen wurden Quarantänehotels identifiziert, also Hotels, in denen Rückreisende zwei Wochen lang isoliert und bewacht werden. Die Grenzen sind zwar schon lange zu, trotzdem gibt es immer noch Australierinnen und Australier, die im Ausland waren und jetzt zurückkommen. Nun gab es Meldungen, dass es in diesen Hotels zu Sex zwischen Wächtern und Isolierten gekommen sei. Auf diese Weise konnte sich das Virus rasend schnell ausbreiten. Eine Untersuchung wurde eingeleitet.

Wie sind die Reaktionen auf die erneut strengen Massnahmen?

Die weitaus meisten Leute erkennen den Sinn der sehr harten Einschränkungen. Sie sehen, dass dadurch eine grössere Krise verhindert werden soll. Die Zahl jener Leute, die abstreiten, dass es überhaupt eine Coronagefahr gibt, und die gegen die Massnahmen aufbegehren, wird immer kleiner.

Kommentatoren der rechtskonservativen Medien sehen alle Massnahmen des Premiers als ‹nutzlos, willkürlich und sozialistisch›.

Zu den Coronaleugnern gehören viele Kommentatoren der rechtskonservativen Medien, die alle Massnahmen des Premiers von Victoria, Daniel Andrews, als «nutzlos, willkürlich und sozialistisch» sehen. Da ist viel Politik im Spiel.

Was bedeutet der erneute Lockdown für die Wirtschaft?

Sie leidet enorm. Vor allem die kleineren und mittleren Unternehmen stehen extrem unter Druck. Viele waren nach der ersten Welle daran, ihre Läden und Restaurants wieder zu öffnen. Dann ging es los mit der zweiten Welle. Viele Kleinbetriebe werden dies schlichtweg nicht überstehen.

Drei Beamte vor einem Gebäude mit Masken
Legende: In Hotels soll es zu Sex zwischen Isolierten und denen, die sie bewachen sollten, gekommen sein. Keystone

Viele Australier arbeiten Teilzeit oder auf Abruf. Welche Folgen hat das?

Weil immer mehr Leute Teilzeit beschäftigt sind, also ohne den Schutz bei einem Krankheitsfall, müssen sich immer mehr Arbeitnehmer entscheiden, ob sie trotz Symptomen zur Arbeit gehen.

In Sydney steckte eine Altenpflegerin, die trotz Symptomen arbeitete, mehrere Patienten an.

Es gibt Fälle von Menschen, die am Rande der Existenz leben, sodass sie schlicht keine andere Wahl haben, als arbeiten zu gehen. In Schlachthöfen etwa, vor allem aber in der Altenpflege – mit horrenden Folgen. In Sydney steckte eine Altenpflegerin, die trotz Symptomen arbeitete, mehrere Patienten an. Die Folge: Mehrere alte Menschen mussten ganz alleine sterben, weil ihre Angehörigen sie nicht besuchen durften.

Das Gespräch führte Manuel Rothmund.

SRF 4 News, 03.08.3030, 08:15 Uhr ; 

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