Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Kritische Infrastruktur Die Amazon-Cloud wackelt – und die Welt steht still?

Einen Monat ist es her, als ein globales Beben durchs Internet zog. Epizentrum war ein Amazon-Rechenzentrum an der US-Ostküste. Der grösste Cloud-Service der Welt fiel stundenlang aus. Regierungsdienste, Banken und tausende Unternehmen weltweit waren betroffen.

Reto Widmer

SRF Digitalredaktion

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Reto Widmer erklärt seit 2006 als Technologie-Korrespondent die digitale Welt und ordnet Digitalisierungs-Vorgänge ein. Zuvor war er als selbständiger Webentwickler unterwegs und unterrichtete «Internet» an einer grossen Computerschule. Sein erster Computer war ein Atari ST, der bei seinem Grossvater stand. Seit dieser Begegnung ist er dem Computervirus verfallen, hat selber bis heute zum Glück aber noch nie einen eingefangen.

Was war der Grund für den Ausfall?

Eine Cloud ist eine Art riesiges Datenkraftwerk. Mit ihm versorgen sich Millionen Webseiten und Apps mit Daten. Damit sie wissen, wo diese Daten sind, gibt es ein Adressbuch, eine Datenbank – und damit die Webseiten und Apps dieses Adressbuch finden, gibt es einen Wegweiser. Er heisst «DNS». Dieser Wegweiser wurde falsch eingestellt. Er zeigte ins Leere. Wie ein Wanderwegweiser an einer Kreuzung, den ein Spassvogel um 90 Grad gedreht hat, so dass er in die Luft zeigt. Dadurch wurden viele Dienste blind. Sie wussten nicht mehr, wo ihre Daten sind. 

Gibt es oft Ausfälle in Rechenzentren?

Wo gehobelt wird, fallen Späne. Dass es in einem Rechenzentrum zu einem Ausfall kommen kann, ist nicht erstaunlich. Nicht immer sind die Auswirkungen aber so heftig wie bei «US East 1», so der Name der betroffenen Cloud der Amazon Web Services (AWS). Hier gab es einen Domino-Effekt, von dem besonders viele Webseiten, Apps und Dienste betroffen waren. Nicht umsonst sagt eine gängige Weisheit unter Informatik-Fachleuten: «Wenn US East 1 down ist, ist das halbe Internet down».

Wieso ist «US East 1» so wichtig?

«US East 1» war die erste Region, in der Amazon seine AWS-Cloud gebaut hat. Das war im Jahr 2006. Viele amerikanische Startups, die beim Aufkommen von AWS begonnen haben, Clouddienste zu nutzen, sind in dieser Region beheimatet. Sie sind zusammen mit der Cloud gross geworden. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass viele Dienste davon betroffen sind, wenn diese Region ausfällt, weil viele eben von diesem AWS abhängig sind.

Ein Gang, links und rechts Server-Racks.
Legende: Eine von vielen Server-Hallen des Rechenzentrums«ZH5» von Equinix in Oberengstringen. Auch hier laufen grosse Cloud-Dienste, sogenannte «Hyperscaler». SRF/Reto Widmer

An dieser Abhängigkeit sind nicht selten auch die Dienste selber schuld. Sie verlassen sich auf nur eine einzige Cloud und Region, wie eben auf die historisch gewachsene «US East 1». Dabei hätte AWS heute Rechenzentren in rund zwanzig anderen Regionen weltweit, wo Firmen ihre Daten und Dienste zusätzlich ablegen könnten.

Warum ist die Zentralisierung ein Problem fürs Internet?

Die Abhängigkeit von einem einzelnen Service ist das Gegenteil der ursprünglichen Idee des Internets, das auf Dezentralisierung und Ausfallsicherheit durch Unabhängigkeit einzelner Komponenten aufbaut. Ein Resultat der Zentralisierung ist die Abhängigkeit von Diensten wie Amazon, aber auch von anderen Anbietern kritischer Infrastruktur wie Cloudflare oder Microsoft. Beide hatten vor kurzem ebenfalls Probleme, die weltweit das Internet beeinträchtigten. 

Müssen wir uns mit den Klumpenrisiken abfinden?

Nein. Zur «digitalen Souveränität» laufen verschiedene Initiativen in Europa, wie beispielsweise Euro Stack. In der Schweiz wurde diesen Sommer das Netzwerk für eine souveräne digitale Schweiz gegründet. Es will in erster Linie Behörden dazu befähigen, Open Source Programme einzusetzen statt Cloudlösungen amerikanischer Tech-Konzerne. Leicht wird das wohl nicht. Es ist ein Kampf David gegen Cloud-liath.

Radio SRF 1 «Rendezvous» 20.11.2025 12:30;weds

Meistgelesene Artikel