Die Festtage stehen dieses Jahr coronabedingt unter keinem besonders guten Stern. Die Menschen sehnen sich zwar nach etwas Leichtigkeit, doch gleichzeitig ist vielen nicht nach Feiern zumute. Wie man sich auf diese besonderen Festtage einstimmen kann und was das Weihnachtsfest ausmacht, erklärt Philosophin Barbara Bleisch.
SRF News: Was können wir tun, um nicht in den coronabedingten Weihnachtsblues zu verfallen?
Barbara Bleisch: Ein Fest – also auch Weihnachten – ist eine Zäsur im Alltag. Es ist die Differenz zum Gewohnten. Der Philosoph Odo Marquard hat vom Fest als «Moratorium des Alltags» gesprochen. Das kennen wir zum Beispiel vom Festessen, wo es etwas gibt, das es normalerweise im Alltag nicht gibt.
Genau weil das Fest eine Differenz zum Alltag ist, tun wir gut daran, auch jetzt, in dieser Weihnachtszeit, unsere Wohnung schön zu schmücken und etwas Leckeres zu kochen. Ansonsten wird dieses Fest einfach im Alltag versickern.
Kann die Krise somit auch eine Chance sein?
Ehrlich gesagt, glaube ich aus der Sicht der Philosophie nicht, dass wir aus der Krise auch immer eine Chance abgewinnen müssen. Manchmal ist das Schwierige einfach schwierig. Und es ist auch richtig, dies zu betrauern und melancholisch zu sein. Aber wenn wir doch der Krise etwas abgewinnen wollen würden, mit Blick auf Weihnachten, dann würde ich sagen, Weihnachten ist ja ein Ritual und manchmal haben Rituale etwas Verstaubtes.
Vielleicht birgt diese Weihnachten eine Chance, sich nochmals ganz neu zu begegnen.
Alle Jahre wieder gibt es das gleiche Essen, die gleichen Menschen kommen zusammen, die Kinder streiten sich zum immer gleichen Zeitpunkt, der Onkel erzählt den immer gleichen Witz. Vielleicht birgt diese Weihnachten nun auch eine Chance, sich – auf einem Fackelumzug durch den Wald zum Beispiel – nochmals ganz neu zu begegnen und neu kennenzulernen.
Welche Bedeutung hat Weihnachten für Sie als Philosophin?
Für Christinnen und Christen hat Weihnachten natürlich nach wie vor eine religiöse Bedeutung. Aber auch Philosophinnen und Philosophen haben sich von Weihnachten immer wieder inspirieren lassen. Allen voran die jüdische Philosophin Hannah Arendt. Sie hat gesagt, dass in der Weihnachtsbotschaft «Uns ist ein Kindlein geboren» die Botschaft steckt, dass man Vertrauen hat in diese Welt.
Wir müssen das, was um uns herum geschieht, nicht einfach ertragen, sondern wir können es gestalten.
Das hat damit zu tun, was Hannah Arendt «Natalität» nennt: Das ist die Idee, dass wir alle Neuanfänge sind. Mit der Geburt eines neuen Kindes kommt auch das Vertrauen in die Welt, dass es «politische Wunder» geben kann, wie Hannah Arendt sagt. Nämlich, dass wir das, was um uns herum geschieht, nicht einfach ertragen müssen, sondern, dass wir es gestalten können. Und dass wir alle die Aufgabe haben, uns zu überlegen, wie wir in dieser Welt etwas bewegen können.
Das Gespräch führte Lia Pescatore.