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Gendergerechte Sprache Ein kleines Zeichen, das ein grosses Zeichen setzen will

In letzter Zeit begegnet es einem öfter, etwa auf Plakaten, im Fernsehen oder in Artikeln, wenn von Lehrer*innen oder Politiker:innen die Rede ist. Das Gendersternchen, der Doppelpunkt, oder auch die kurze Pause im gesprochenen Wort, steht dabei für die Bemühung, alle Geschlechter linguistisch einzubeziehen – was nicht überall auf Zustimmung stösst. Denn Sprache hat mit Wohlfühlen zu tun, wie Linguist Martin Luginbühl erklärt.

Martin Luginbühl

Sprachwissenschaftler

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Martin Luginbühl ist Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Basel.

SRF News: Warum ist die Debatte um gendergerechte Sprache so emotional aufgeladen?

Martin Luginbühl: Es geht um Sprache. Und die ist verwoben mit Identität. Wir fühlen uns dort wohl, wo unsere Sprache gesprochen wird. Wir fühlen uns dort wohl, wo wir sprachlich wertgeschätzt werden. Wir zeigen über den Sprachgebrauch, wer wir sind oder wer wir sein wollen. Eine ganz zentrale soziale Kategorie ist das Geschlecht. In der deutschen Sprache müssen wir in vielen Fällen das Geschlecht anzeigen. Deshalb ist das ein zentraler Aspekt unserer Identität und es überrascht nicht, dass das Emotionen auslöst.

Die Rede ist oft von einer ideologischen Sprachpolizei, die einem die gendergerechte Sprache aufzwingt. Ist da etwas dran?

Wenn wir unter einer Ideologie Werte und Normen verstehen, dann steckt immer Ideologie im Sprachgebrauch. Und es ist tatsächlich so: Auch im Versuch, die Sprache diskriminierungsarm zu machen, steckt eine Ideologie, nämlich jene, Menschen in ihrer Vielfalt sprachlich wertzuschätzen.

In der jetzigen Sprache steckt auch eine Ideologie: Der Mann ist die Norm, und alles andere ist dem untergeordnet.

Ich verstehe, dass das für viele nicht positiv konnotiert ist. Ich bin auch dagegen, dass man sagt, alle müssten nun den Genderstern und nur diesen benutzen. Aber es ist wichtig, dass man sieht, dass in der jetzigen Sprache eben auch eine Ideologie steckt. Etwa beim generischen Maskulinum, wenn man von Ärzten und Journalisten spricht und andere soziale Geschlechtsidentitäten mitmeint. Die Ideologie, die dahinter steckt, ist: Der Mann ist die Norm, und alles andere ist dem untergeordnet.

Das Thema wird vor allem an Universitäten diskutiert. Ist es nicht vor allem eine intellektuelle, ja schon fast elitäre Debatte?

Ich glaube, dass es im Bereich der Personenbezeichnungen einen Sprachwandel gibt, und es gibt ja unterdessen auch viele Betriebe, die damit beginnen, diskriminierungsarme Sprache zu verwenden. Ein Sprachwandel ist aber immer ein kollektives Phänomen. Es gibt offenbar viele Leute, die das Bedürfnis haben, diese Vielfalt auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen.

Die akademische Welt allein hat nicht die Macht, die Sprache zu verändern. Das ist immer ein Prozess, der von der Gemeinschaft getragen werden muss. Ich beobachte das und bin sehr gespannt, was sich durchsetzen wird. Und ich wünsche mir, dass die Diskussionen künftig vielleicht etwas weniger polemisch, dafür sprachwissenschaftlich informierter geführt werden.

Das Gespräch führte Urs Gredig.

10 vor 10, 06.05.2021, 21:50 Uhr ; 

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