Der Dress der Kunstturnerinnen ist – ähnlich wie ein Badekleid – kurz und knapp geschnitten. Aber viele Turnerinnen fühlen sich darin nicht wohl, fühlen sich ausgestellt. Die meisten Athletinnen tragen es heute zwar mit langen Ärmeln. Im Gegensatz zu den Männern sind kurze Hosen aber nicht erlaubt.
Da überrascht es nicht, dass einige junge Sportlerinnen jetzt handeln. So hat die Deutsche Sarah Voss an den Europameisterschaften in Basel am Mittwoch einen Ganzkörperanzug getragen; mit roten Streifen und Glitzersteinen besetzt, lange Ärmel, lange Beine. Ein klares Statement gegen Sexismus.
Kein Klebstoff nötig
Die 21-jährige Athletin begründete die Kleiderwahl gegenüber dem deutschen Turnerbund: «Grund dafür war vor allem, dass wir uns damit nicht wohlgefühlt haben. Wir kommen in die Pubertät und haben nicht mehr diese kindlichen Körper. Kurven kommen dazu, die Periode kommt dazu, das sind nicht wirklich Faktoren, die es einem leicht machen, in knapper Kleidung zu turnen.»
Damit nichts verrutscht, greifen die Athletinnen beim kurzen Dress auch oft zu Klebespray. Der Ganzkörperanzug braucht dagegen keinen Klebestoff, weil gar nichts verrutschen kann. Reglementarisch ist dieser Anzug erlaubt.
Der lange Turnanzug, also Dress und Hose, müssen genau zusammenpassen, er muss farblich übereinstimmen und die Hosenbeine müssen bis zum Knöchel reichen.
Christine Frauenknecht, technische Delegierte im europäischen Kunstturnverband und höchste Richterin in der Schweiz, erklärt: «Der lange Turnanzug, also Dress und Hose, müssen genau zusammenpassen, er muss farblich übereinstimmen und die Hosenbeine müssen bis zum Knöchel reichen.»
Also entweder ganz kurz oder ganz lang. Die neuere Reglementierung trat 2013 in Kraft, aus religiösen Gründen: «Das kam vor allem von den Musliminnen her, da sie keinen kurzen Turndress anziehen durften.»
Premiere in Aserbaidschan
Als erste Athletin trug die Aserbaidschanerin Marina Nekrasova beim Weltcup 2019 in ihrem Heimatland eine lange Bekleidung. Die deutschen Athletinnen wollen damit nun gegen die Sexualisierung des Turnsportes angehen.
Frauenknecht versteht das: «Ich kann das gut nachvollziehen, denn man sieht ja verschiedene Fotos von unseren Turnerinnen. Ich finde es gut, wenn sie die Möglichkeit haben und sich entscheiden, so einen Turnanzug zu tragen.»
Im Unterschied zu den Männern, die an vier von sechs Geräten lange Hosen tragen, war der Dress der Athletinnen immer kurz. «Die Frauen waren seit 100 Jahren so angezogen. Man hatte das Gefühl, es sei eleganter so.»
Aber allmählich komme man von dieser Haltung ab, so die Richterin, und stelle das Empfinden der Athletinnen über die historische Argumentation.
Kein Notenabzug
Unterschiede in der Wertung sieht Frauenknecht nicht – ob kurz oder lang: «Als Richterin kann man da gar keinen Einwand haben, denn die Hosen sind eng anliegend, man sieht genau das gleiche, ob kurze oder lange Hosen.»
Auch der Schweizer Turnverband äussert sich zum Thema. Das Empfinden, den Körper nicht in sexualisierter Weise zur Schau stellen zu wollen, nimmt man ernst. David Huser, designierter Chef Leistungssport im STV, sagt: «Wir werden alles tun, dass die Frauen auch so an Wettkämpfen starten können.» Wolle eine von ihnen mit langen Hosen starten, so solle das möglich sein.
Sarah Voss, die erste Athletin, die an einem Wettkampf in Europa im langen Dress antrat, hat viele positive Reaktionen auf ihren Auftritt erhalten: «Ich habe dadurch ein gutes Gefühl bekommen.» Und letztlich ist das wesentlich, um an einem Wettkampf Höchstleistungen zu zeigen.