Er wurde stets gerufen, wenn etwas Schlimmes passiert ist: Suizide, Unfälle, Verbrechen. Edgar Schaller, langjähriger Leiter des Aargauer Care-Teams, hört nach 14 Jahren im Dienst auf. Der 68-jährige Psychotherapeut und zertifizierte Notfallpsychologe hat viel erlebt, darunter auch den Vierfachmord von Rupperswil, Familiendramen und viele weitere Einsätze. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen und wie er das Erlebte verarbeitet.
SRF News: Als Psychologe, der Menschen in schwierigen Situationen begleitet, schlägt das einem nach 14 Jahren nicht aufs Gemüt?
Edgar Schaller: Mir hat es – glaube ich – nicht aufs Gemüt geschlagen. Ich konnte über die Jahre eine gewisse Professionalität entwickeln. Aber klar, gewisse Schicksale gehen einem nahe.
Was ist Ihnen am meisten geblieben?
Mir sind jene Einsätze geblieben, die Kinder betreffen: Ein Kindstod oder die Betreuung eines Elternteils, der den Kindern sagen musste, dass der andere Elternteil gestorben ist oder sich das Leben genommen hat.
Wenn man an grosse Ereignisse im Aargau denkt, an den Vierfachmord von Rupperswil zum Beispiel, das vergessen Sie wohl auch nicht?
An den Vierfachmord von Rupperswil denkt man das ganze Leben lang. Das war ein ausserordentlicher Einsatz. Er zog sich auch über mehrere Monate oder sogar noch länger hin, das ist selten.
An den Vierfachmord von Rupperswil denkt man das ganze Leben lang.
Nicht nur Angehörige von Opfern und Täter brauchten unsere Hilfe. Es ging auch darum, die Feuerwehrleute zu betreuen, die den Tatort als Erste betreten hatten. Oder Schulklassen, die mit den Opfern zu tun hatten. Aber wir haben auch Leute betreut, die nicht direkt involviert waren, die aber wegen des Vierfachmordes Ängste entwickelt haben.
Wie können Sie denn den Menschen nach so einem Schicksalsschlag helfen?
Unser Ziel ist, die Betroffenen zu unterstützen, damit sie die Ereignisse bewältigen können. Sie sollen wieder handlungsfähig und psychisch stabil werden. Uns ist es ganz wichtig, dass wir vor allem die eigenen Fähigkeiten und Bewältigungsstrategien aktivieren.
Wir kommen zu den Leuten heim. Wir hören zu, was passiert ist.
Wir kommen zu den Leuten heim. Wir hören zu, was passiert ist, welche Reaktionen die Menschen darauf hatten. Schon nur das Erzählen entlastet in einem ersten Schritt. Wir können den Menschen auch sagen, dass ihre Reaktionen – zum Beispiel Weinen, Wut, Erstarren – nach einem ausserordentlichen Ereignis ganz normal sind.
Das Care-Team ersetzt aber den privaten Psychotherapeuten nicht?
Wir sind ein Notfall-Team und nach einem Ereignis rasch vor Ort. Ein Einsatz dauert zwei bis drei Stunden, auch mal kürzer oder länger. Dann verabschieden wir uns wieder. Klar, wir geben Kontaktdaten und Unterlagen ab. Wir fragen manchmal auch zwei Tage später telefonisch nach, ob es noch offene Fragen gibt. Vor allem aber erklären wir, dass die Betroffenen unbedingt einen Berater oder Arzt aufsuchen sollen, wenn die Reaktionen auf den Vorfall auch nach vier Wochen nicht abklingt.
Wird die Hilfe einer fremden Person jeweils ohne Probleme angenommen?
Die Leute werden ja gefragt, ob wir vor Ort kommen sollen. Meistens wird die Hilfe angenommen. Wir sind Externe, haben Distanz zum Ereignis, sind gut ausgebildet. Das ist eine andere Hilfe.
Wir haben Distanz zum Ereignis.
Wir wollen die Betroffenen dann aber rasch mit Verwandten und Bekannten vernetzen, damit sie Unterstützung für die schwierige Zeit haben. Das Ziel ist, dass das Care-Team rasch nicht mehr benötigt wird.
Das Gespräch führte Maurice Velati.