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170'000 zahlen keine Prämien «Wir haben in diesem System eine Riesenverschwendung»

Fast 170'000 Menschen zahlen ihre Krankenkassenprämien nicht. Zu diesem Schluss kommen die Tamedia-Zeitungen. Sie verweisen auf die jüngste Krankenkassenstatistik des Bundes. Gemäss dieser wachsen die Schulden bei den Krankenkassen in bisher unbekannte Höhen. Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel (CVP) zeigt sich über die Zahlen überrascht und fordert schnelle Änderungen.

Ruth Humbel

Politikerin

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Die Aargauerin ist Präsidentin der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrats. Seit 2003 sitzt sie für die Mitte im Parlament.

SRF News: 170'000 Menschen zahlen die Krankenkassenprämien nicht mehr. Was sagen Sie dazu?

Ruth Humbel: Es erstaunt mich, weil wir die Prämienverbilligung haben und jene Menschen, welche Prämien nicht bezahlen können, sollten eigentlich in den Genuss von Prämienverbilligungen kommen. Offenbar funktioniert dieses System nicht.

Heinz Brand , Präsident beim Krankenkassenv erband Santésuisse, spricht in der «Berner Zeitung» von einer « sozialpolitischen Zeitbombe». Es brauche dringend Reformen , um die Kosten zu senken. Was sagen Sie als Präsidentin der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit SGK des Nationalrats dazu?

Wir haben ein Kostendämpfungspaket mit 38 verschiedenen Massnahmen und beraten diese Massnahmen nun in der Kommission. Ein grundlegender Fehlanreiz im System ist, dass wir in einer obligatorischen Sozialversicherung allen Menschen eine Wahlfreiheit und allen Ärzten Therapiefreiheit versprechen. Das ist logischerweise kostentreibend. Es braucht gewisse Einschränkungen, welche von den Leuten akzeptiert werden müssen.

Karten von Krankenkassen.
Legende: Die hohen Krankenkassenprämien in der Schweiz bleiben ein politischer Dauerbrenner. Keystone

In der Schweiz werden pro Jahr 4000 Tonnen Medikamente entsorgt. Die meisten werden von den Krankenkassen bezahlt und von den Leuten nicht gebraucht. Wir haben in diesem System eine Riesenverschwendung. Anreize müssen gesetzt werden. Beispielsweise muss erreicht werden, dass Ärzte nur so viele Medikamente abgeben, wie tatsächlich genommen werden und die Patienten sollten nur Medikamente beziehen, die sie auch tatsächlich brauchen.

Verschiedene Initiativen wollen den Kostenanstieg anpacken, zum einem die SP mit ihrer «Prämienentlastungsinitiative» und die CVP mit der «Kostenbremseinitiative». Warum braucht es gleich mehrere Initiativen zum gleichen Thema?

Da sind total verschiedene Ansätze. Die SP will mit ihrer Initiative nichts an den Kosten verändern. Die Initiative möchte eine Umverteilung installieren, damit mehr Geld in die Prämienverbilligung fliesst. Unsere Initiative aber setzt bei den Kosten an. Wir möchten alle Akteure in die Pflicht nehmen und diese dazu bewegen, sich über die Kosten ihres Handelns bewusst zu werden.

Ist Ihre Initiative nicht bloss Symptombekämpfung? Sie fordern tiefere Kosten , aber das Grundproblem , d ie Kostenu rsache , gehen sie nicht an.

Wir sehen einen Verfassungsartikel vor. In der Verfassung werden die Grundsätze geregelt und es ist selbstverständlich, dass anschliessend in der Gesetzgebung eine direkte Umsetzung bei den Ursachen ansetzt, damit wir Mehrfachuntersuchungen, Übermedikationen oder unnötige Behandlungen verhindern können.

Muss der Staat Ihrer Meinung nach mehr eingreifen?

Das Krankenversicherungsgesetz lässt den Akteuren eine grosse Tarifautonomie. Sie haben einen grossen Spielraum, selber zu handeln. Und immer, wenn sie das nicht können oder nicht wollen, muss der Staat eingreifen. Das wird auch in Zukunft der Fall sein, wenn sich Leistungserbringer wie Ärzte, Spitäler, Apotheker, Physiotherapeuten und Spitex nicht mit den Krankenversicherungen einigen können.

Das Gespräch führte Teresa Delgado.

SRF 4 News, 7.2.2020, 10:40 Uhr

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