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50 Jahre Sondereinheiten Polizei-Spezialeinheiten: die «Männer der ersten Stunde»

Vor 50 Jahren war die Geburtsstunde der Schweizer Sondereinheiten. Den Anfang machte ein Aargauer Polizeikommandant.

Sie nennen sich «die Männer der ersten Stunde». Die Rede ist von den Teilnehmern der ersten Anti-Terror-Kurse in der Schweiz, die vor 50 Jahren stattfanden. Damit legten die Männer den Grundstein für Spezialeinheiten wie Argus im Aargau, Barrakuda im Kanton Baselland oder Enzian im Kanton Bern – die Einheiten, die zum Einsatz kommen, wenn es brenzlig wird.

«Früher hatten wir zwar an vielen Orten Polizisten, aber untereinander waren wir nur schlecht koordiniert», erzählt Leon Borer, ehemaliger Polizeikommandant im Kanton Aargau. «Häufig waren es Einzel- oder Zweierposten. Wenn wir einen grösseren Einsatz hatten, mussten wir Leute zusammentrommeln, die überhaupt nicht aufeinander eingespielt waren. Das war für alle ein grosses Risiko.»

Attentat in München führte zum Umdenken

Was passieren kann, wenn die Polizei nicht gut vorbereitet ist, zeigte sich 1972 in München an den olympischen Spielen. Damals überfielen palästinensische Terroristen die israelische Mannschaft. Was als Geiselnahme begann, endete mit der Ermordung von elf israelischen Teammitgliedern. Auch ein Polizist sowie fünf Geiselnehmer kamen ums Leben.

Die bayrische Polizei war der Situation nicht gewachsen. Durch die Medienberichterstattung konnte die ganze Welt zusehen, wie alles schiefging.

Das Attentat von München

«Da hat man gemerkt, dass die Polizei für einen solchen Angriff nicht vorbereitet war», sagt Leon Borer. Die Schweizer Behörden schickten den jungen Polizisten darum nach Deutschland, wo er bei der Antiterroreinheit GSG9 eine dreimonatige Ausbildung machte.

Schweiz führte Sondereinheiten ein

Als Leon Borer seinen Bericht dem Bundesrat ablieferte, war klar: Auch die Schweiz braucht solche Sondereinheiten. Bis dahin gab es nur in Bern eine solche Truppe – die Sondereinheit Enzian.

Mehrere Menschen.
Legende: Ein Polizist der Sondereinheit Enzian nimmt im Juli 2009 an einer Notfallübung teil. Keystone/Marcel Bieri

Borer stellte ein Ausbildungsprogramm auf die Beine. In Isone TI trafen sich vor 50 Jahren handverlesene Instrukteure aus allen Polizeien für die Grundausbildung. Es war das erste Mal, dass eine solche Ausbildung gesamtschweizerisch stattfand. Das sei gerade bei Grosseinsätzen enorm wichtig, so Borer: «Alle Beteiligten sind geschult in der gleichen Taktik, sie sprechen dieselbe Sprache.»

Sondereinheiten sind inzwischen Standard

Wie wichtig Sondereinheiten sind, zeigte sich 1982 bei einer Geiselnahme in der polnischen Botschaft in Bern. «Bei der Essensübergabe haben die Polizisten eine kleine Sprengladung mit Tränengas hereingeschmuggelt. Dank des Überraschungseffektes konnte die Einheit das Gebäude sofort stürmen», erzählt Borer. «Für ein solches taktisches Vorgehen sind die Sondereinheiten trainiert.»

Ein Mann in Militärkleidung hält die Hände hoch, ein anderer steht dahinter mit einer Waffe.
Legende: Die Berner Polizei führt nach einem erfolgreichen Einsatz die Geiselnehmer ab. Keystone

Inzwischen sind in der Schweiz 28 Sondereinheiten aktiv. Das, obwohl es auch Kritik gibt an den Einsätzen – die Mitglieder der Einheiten würden zu hart eingreifen. Böse Zungen reden von den «Rambo-Truppen».

Leon Borer will diese Kritik nicht stehen lassen. «Natürlich wirken die Sondereinheiten stark militarisiert durch ihre Montur, sie sind jedoch bestens geschult, um verhältnismässig zu reagieren. Das Ziel ist immer, dass keine Menschen zu Schaden kommen.»

Kritik an Sondereinheiten

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Die Aargauer Sondereinheit Argus stand schon mehrfach vor Gericht. Im September 2023 wurden zwei Polizisten angeklagt wegen Amtsmissbrauch und Körperverletzung. Das, weil sie bei einem Einsatz in Hunzenschwil einen unschuldigen Mann ziemlich hart angefasst haben sollen.

Auch fünf Berner Polizisten der Sondereinheit Enzian müssen sich vor Gericht verantworten. Dabei geht es um einen tödlichen Polizeieinsatz im Mai 2020. Der Mann soll mit erhobener Waffe im Zimmer gestanden haben, als die Sondereinheit hineinstürmte. Einer der Polizisten feuerte Schüsse ab. Der 44-jährige Schweizer starb.

2021 löste der Einsatz einer Sondereinheit der Stadtpolizei Zürich viel Kritik aus. Die Polizisten in Vollmontur waren bei einer Frauen-Demo im Einsatz und verhafteten mehrere Demonstrantinnen. Dabei sollen sie aus nächster Nähe Pfefferspray eingesetzt haben und aggressiv aufgetreten sein.

Antiterroreinsätze kommen in der Schweiz nur selten vor. Die Einheiten sind vor allem bei schwierigen Verhaftungen oder in Sachen Personenschutz gefragt – zum Beispiel beim Weltwirtschaftsforum WEF in Davos.

Was vor 50 Jahren nach dem Attentat in München seinen Anfang nahm, ist heute aus der Schweizer Polizeilandschaft nicht mehr wegzudenken.

Regional Diagonal Magazin, 7.12.2024, 12:03 Uhr ; 

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